Photos Glamour

15.05.2015 Cour de Cassation No 13-27.391

Mr. X - Mr. Y

I Kunstwerk

Peter Klasen  (* 18. August 1935 in Lübeck) ist ein in Frankreich lebender deutscher zeitgenössischer Bildhauer, Maler und Fotograf. Klasens Arbeiten wurden in zahlreichen Ländern ausgestellt und von renommierten Museen und Sammlungen aufgekauft. Er erhielt in Frankreich Aufträge für Fresken in öffentlichen Gebäuden. Daniel Sibony schrieb (gemäß Zitat in Wikipedia) über Klasens Bildwelt, sie zelebriere unsere moderne, hoch technisierte, sterile Gesellschaft, um gleichsam auch ihre unmenschliche Kühle und bedrohliche Leere anzuprangern. Mit seinen Arbeiten führe Klasen den Betrachter vor eine ausweg- und kompromisslose Konfrontation mit der brutalen Realität unserer heutigen Gesellschaft.

Über seine Bildkunst schrieb Sabine Glaubitz (gemäß Zitat in Wikipedia):

Für Klasen bot die von der Pop-Art-Sprache beeinflusste Narrative Figuration die Möglichkeit, Motive der neuen technischen Welt – Maschinen und Konstruktionen – in seinen Kompositionen umzusetzen. Seine Bilder sind von kühler, unpersönlicher, photoartiger Formsprache, die Objekte aus der modernen Konsumwelt zum Teil in Collagenform darstellen. Er hat sich wie viele der Künstler der «Figuration narrative» von Fotos aus Tageszeitungen, Zeitschriften und Filmplakaten inspirieren lassen.

Siehe  Wikipedia (deutsch) und  Wikipedia (französisch) sowie die Webseite des Künstlers.

Weder im deutschen noch im französischen Wikipedia noch auf der Webseite des Künstlers ist ein Rechtsstreit erwähnt, der vom Modefotografen Alix Malka gegen ihn angestrengt wurde und 2012 in der ersten Instanz zu seinen Gunsten, am 18.09.2013 von der Cour d’Appel de Paris zu Gunsten Malka's entschieden wurde, am 15.05.2015 zu der hier besprochenen Aufhebung durch die Cour de Cassation führte, bis schließlich am 16.03.2018 die Entscheidung der Cour d’Appel de Versailles erging.

Dieses Gerichtsverfahren ist Gegenstand der hier besprochenen Entscheidungen zum Recht der Kunst in Frankreich.

II Schlagworte

Urheberrecht – Freiheit der Meinungsäußerung Art 10 EMRK – Kunstfreiheit – Appropriate Art - Aneignungskunst

III Parteien

M. X... Modefotograf und M. Y..., Bildhauer, Maler und Fotograf.

IV Sachverhalt

M. X..., Urheber von 3 Fotografien hat den Maler MY wegen Verletzung seiner Urheberrechte geklagt,  weil er entdeckte, dass Vervielfältigungen ohne seine Zustimmung in mehrere Werken des Malers M. Y... eingefügt worden waren.

M. X..., auteur de trois photographies dont il a découvert que des reproductions avaient été intégrées, sans son autorisation, dans plusieurs oeuvres de M. Y..., artiste peintre, a assigné celui-ci en contrefaçon de ses droits d'auteur ;

Eleonora Rosati  berichtet im Blogspot  TheIPKat am 25.03.2018 unter (Zitat)::

French court finds appropriation of photograph not sufficiently 'transformative' and therefore infringing - Französisches Gericht erachtet die Aneignung eines Fotos nicht ausreichend „transformiert“ und daher als Urheberrechtsverletzung

ausführlich vom gegenständlichen Fall und zeigt beispielsweise sowohl eine Fotografie eines Models, wie sie 2005 in der italienischen Modezeitschrift Flair unter Anführung des Namens des Modefotografen M, X... (Alix Malka) abgedruckt war als auch eines der Gemälde des Malers M.Y... (Peter Klasen), in dem ersteres Foto rechts oben blau eingefärbt integriert ist.

Christophe Geiger  schildert im Kapitel Contemporary Art on Trial - The Fundamental Right to Free Artistic Expression and the Regulation of the Use of Images by Copyright Law, in: Thomas Dreier/Tiziana Andina (eds.) (Zitat):

eine Reihe jüngerer Gerichtsentscheidungen zu Urheberrechtsverletzungen berühmter zeitgenössischer Künstler in Fällen der "Appropriation Art",

darunter auch den gegenständlichen Fall und zeigt ebenfalls die Fotografie Malkas und das Gemälde von Klasen. Er spricht von einem (Zitat): 

ernsten Risiko, dass Kulturveranstalter zwecks Vermeidung mehrmaliger und teurer Urheberrechtsklagen in Hinkunft übervorsichtig sein werden, wenn sie gewisse Künstler ausstellen und schlägt vor, die Grenzen des Urheberrechts zu überdenken und eine Anpassungsbestimmung in das europäische Rechtssystem einzufügen, die auf jenen Kriterien beruht, die die europäischen Gerichte zur Freiheit der Meinungsäußerung entwickelt haben.

This chapter reviews a set of recent court decisions convicting famous contemporary artists for copyright infringement in cases of appropriation art.

... serious risk that cultural institutions in the future will be overcautious when choosing to expose certain artists in order to avoid repeated and costly copyright claims. In order to address these shortcomings of the copyright system, the chapter propose to rethink the boundaries of copyright law and to introduce into the European legal framework a flexibility clause based on criteria developed by the freedom of expression-case law of European courts.

V Gang des Verfahrens

In der ersten Instanz verlor Malka, weil seinen Bildern der Urheberrechtschutz versagt und überdies die Parodieschranke für anwendbar gehalten wurde.

Demgegenüber sah die Berufungsinstanz in den fraglichen Bildern urheberrechtlich geschützte Werke und lehnte das Vorliegen einer Parodie, eines Zitats und von blossem Beiwerk ab. Überdies wies sie darauf hin, dass ein gerechter Interessenausgleich im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit von Art. 10 EMRK kein überwiegendes Interesse des nachschaffenden Künstlers erkennen lasse und daher auch keine Urheberrechtsverletzungen erlaube. Entsprechend wurde das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und Klasen wegen Urheberrechtsverletzung zu Schadenersatz verurteilt.

VI Rechtliche Beurteilung des Höchstgerichtes

Am 15. Mai 2015 hob das Höchstgericht (Cour de Cassation) das Urteil der Cour d'appel Paris vom 18.09.2013 in allen Punkten auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht in Versailles ...

Die Cour de Cassation folgte der Ansicht der Berufungsinstanz zwar mit Bezug auf die Frage des Urheberrechtsschutzes, nicht aber hinsichtlich der Frage der Urheberrechtsverletzung. Folglich hob sie das Urteil auf, und zwar mit der Begründung, dass 

... die Berufungsinstanz nicht hinreichend konkret erläutert habe, inwiefern ein gerechtes Gleichgewicht  zwischen den infrage stehenden Rechten die Verurteilung wegen Urheberrechtsverletzung zwingend verlange, weshalb es dem Urteil an einer rechtlichen Grundlage fehle

im Originaltext lautend wie folgt:

CASSE ET ANNULE, dans toutes ses dispositions, l'arrêt rendu le 18 septembre 2013, entre les parties, par la cour d'appel de Paris ; remet, en conséquence, la cause et les parties dans l'état où elles se trouvaient avant ledit arrêt et, pour être fait droit, les renvoie devant la cour d'appel de Versailles;

... Qu'en se déterminant ainsi, sans expliquer de façon concrète en quoi la recherche d'un juste équilibre entre les droits en présence commandait la condamnation qu'elle prononçait, la cour d'appel a privé sa décision de base légale au regard du texte susvisé;

VII Kommentare

Kommentare in der Lehre

Marie-Avril Roux Steinkühler und Marion-Béatrice Venencie-Nolte erwähnen in der in LinkedIn erfolgten Veröffentlichung vom 29.09.2017:  Das französische Urheberrecht auf dem Prüfstand der freien Meinungsäußerung - Jeff Koons und das Plagiat  das  Urteil des Tribunal de Grande Instance de Paris, 3. Kammer, 4. Abteilung, vom 09. März 2017, RG-Nr.: 15/01086 (zum Fall der Witwe des Fotografen Jean-Francois Bauret gegen Jeff Koones wegen der Ähnlichkeit des Fotografie  "Enfants"  (1970) mit der Porzellanskulptur "Naked" (1988) - ebenfalls gezeigt von Christophe Geiger in  Contemporary Art on Trial - The Fundamental Right to Free Artistic Expression and the Regulation of the Use of Images by Copyright Law auch die gegenständliche Entscheidung Malka gegen Klasen. In beiden Fällen erfolgte die Abwägung der verschiedenen Interessen zum Nachteil der Appropriation Art (siehe dazu auch Wikipedia), einer sich stark ausbreitenden künstlerischen Strömung, in der Jeff Koons eine führende Rolle einnimmt, sodass die künstlerische Ausdrucksfreiheit der aneignenden Künstler äußerst fragil sei. Die Frage, ob die aneignende Kunst in Gefahr sei, wird am Beispiel von Jeff Koons abschließend wie folgt beantwortet:

Jedenfalls sind die Gesellschaft JEFF KOONS LLC und das Centre Pompidou in solidum verurteilt worden, für den erlittenen Schaden 42.000 Euro an die Anspruchsberechtigten zu zahlen. Bleibt die Tatsache, dass die «Vermeidung der schöpferischen Arbeit » sich lohnt, eines der Exemplare der Skulptur wurde 2008 für die bescheidene Summe von 8 Millionen Dollar verkauft…

CA Versailles, 16 mars 2018, Peter Klasen/Alix Malka, n° 15/06029

Unter Berufung auf die von Clara Grudler am 27.07.2018 in Village de la Justice erfolgte Veröffentlichung unter dem Titel:  Affaire Klasen: De la mise en balance des droits dans un contexte européen d'affirmation des libertés fondamentales   ist die eingangs erwähnte Entscheidung der Cour d'Appel de Versailles vom 16 März 2018 noch nachzutragen:

Die Cour de Cassation gab der Beschwerde von Herrn Klasen Folge, aber die Cour d'appel von Versailles entschied am 16.03.2018, dass zur Erzielung eines Gleichgewichtes bei Abwägung der Grundrechte eine Verletzung des geistigen Eigentum des Urhebers des Originalwerks, Herrn Malka, in keiner Weise gerechtfertigt ist

La Cour de cassation ayant fait droit au pourvoi de Monsieur Klasen, la Cour d’appel de Versailles rendait sa décision le 16 mars 2018 en indiquant que la recherche d’un équilibre, passant par la mise en balance des droits, ne légitimait en aucune façon l’atteinte portée au droit de propriété incorporelle de l’auteur de l’œuvre originale, Monsieur Malka.

Favorartis Kommentar

⇒ Favor artis für Alix Malka (und die Witwe Bauret) als Urheber von Fotografien bzw gegen Peter Klasen und Jeff Koons als nachahmende Künstler im Genre der Aneignungskunst. Das Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kunstfreiheit, das in den sieben Fällen  Lieblingshauptfrau (OGH), Medienprofessor (OGH),  Germania 3 (BVerfG), Sampling (EuGH) , Parodie (EuGH), The Wind Done Gone (US Court of Appeal 11th Circuit) und Pretty Woman (US Supreme Court) wiedeerkehrt, wird nun um den Fall Photos Glamour (et - si vous voulez - Enfants) erweitert.

VIII Hinweise zu dieser Webseite

  1. Der Text der Entscheidung ist zum Teil der Veröffentlichung in Légifrance entnommen und übersetzt.
  2. Die angeführten Zitate aus Wkipedia  (zu Peter Klasen), aus dem Blogspot TheIPKat und den Essays von Geiger, Steinkühler, Venencie-Nolte und Grudler (mit Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.
  3. Personenbezogene Daten, die über die Veröffentlichung der Entscheidung hinausgehen, ergeben sich aus dem Bekanntheitsgrad des Künstlers.

Zurück zum Seitenanfang