Lieblingshauptfrau

OGH 13.07.2010 4 Ob 66/10z

I Kunstwerke

Kunstwerk Beilage A

Im Salzburger Landtagswahlkampf 2009 führt die Landesorganisation der Sozialdemokratischen Partei Österreichs  eine Werbekampagne durch, in der (als Plakat- und Internetwerbung) ua das nebenstehend abgebildete Lichtbild Beilage A verwendet wurde.

Kunstwerk Beilage J

Der Verein Jugend für das Leben  hat sich die Aufgabe gestellt, schwangere Frauen zu einem Ja zu ihrem Kind  zu ermutigen. Er betreibt eine Website und ist Medieninhaber und Herausgeber einer Postwurfsendung vom 13.02.2009, die in Salzburg an etwa 90.000 Haushalte verteilt wurde. Sowohl auf der Website als auch in der Postwurfsendung war die nachstehend abgebildete Grafik Beilage J sichtbar, die ua rechts unten ein Copyright-Zeichen mit dem Namen des Vereins und rechts oben folgenden Text enthält: Seit April 2005 wird auf Burgstallers Anweisung im LKH-Salzburg abgetrieben. 4000 Kinder wurden seither dort getötet. Wählen sie am 1. März nicht die SPÖ mit ihrer Abtreibungspolitik!. Sowohl auf der Website als auch in der Postwurfsendung war dieser Grafik ein namens des Vereines unterfertigter Begleittext angeschlossen, der ua folgende Textpassagen enthält:

Liebe Salzburger Mitbürgerin, lieber Salzburger Mitbürger, in wenigen Tagen wird der Salzburger Landtag mit der neuen Landesregierung gewählt. Ich wende mich an Sie, um Sie über dringende Gründe zu informieren gegen die regierende SPÖ zu stimmen. Ein Plakat zeigt LH Burgstaller in einem Kindergarten. die Kindergesichter um sie herum lachen. Aber andere Kinder gleichen Alters erblickten nie das Licht der Welt. Denn auf persönliches Verlangen von LH Burgstaller hat man im April 2005 am LKH-Salzburg eine Abtreibungsstation eingerichtet. 4.000 Kinder starben bisher in dieser Anstalt. […] Unser Verein ist der Sache nachgegangen und hat zusätzliche traurige Details aufgedeckt: Es gibt praktisch keine Beratung. […] Abtreibungen sind nicht „sauber“. […] Schwangere Mütter stehen unter Druck. […] Aus diesen Gründen lege ich Ihnen dringend nahe, bei dieser Landtagswahl einer anderen Partei als der SPÖ Ihre Stimme zu geben. […].

II Schlagworte und Leitsatz

  • Privatrecht – Urheberrecht – Bildkunst - Meinungsfreiheit - Freiheit der Kunst - Parodie
  • Parodie ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt und kann urheberrechtlich unter dem Gesichtspunkt der freien Benutzung des parodierten Werks und - als Folge einer Interessenabwägung zwischen Urheber und Nutzer - unter dem Aspekt der Kunst- und Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein.
  • Da die Parodie nicht in den Katalog der freien Werknutzung aufgenommen ist, kann sie gesetzessystematisch nur zulässig sein, wenn es sich bei ihr um eine Neuschöpfung gemäß § 5 Abs 2 UrhG handelt. Das neue Werk muss gegenüber dem vorbestehenden Werk einen solchen Grad von Selbständigkeit und Eigenart aufweisen, dass von einer abhängigen Nachschöpfung nicht gesprochen werden kann (Noll  aaO 199 mwN zur Rechtsprechung des BGH).
  • Parodien stehen auch unter dem besonderen Schutz von Art 17a StGG (Kunstfreiheit) und von Art 10 EMRK (Meinungsfreiheit).
  • Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien lassen sich wie folgt zusammenfassen (Kucsko-Stadlmayer aaO 672):
    • Das Verhalten fällt in den Schutzbereich von Art 13 StGG bzw Art 10 EMRK, und es handelt sich nicht um unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen;
    • die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers werden nicht ausgehöhlt; die normale Auswertung des Werks wird nicht beeinträchtigt;
    • die berechtigten Interessen des Urhebers werden nicht ungebührlich verletzt;
    • das Grundrecht der freien Meinungsäußerung kann ohne Eingriff in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht nicht oder nur unzulänglich ausgeübt werden.

III Parteien

Klägerin ist die Landesorganisation der Sozialdemokratischen Partei Österreichs.  Beklagte sind der Verein Jugend für das Leben  und N***** S*****. Siehe auch die  OTS-Aussendung der beklagten Vereines.

IV Sachverhalt

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragte die SPÖ,  den Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, von der Klägerin hergestellte Fotos, insbesondere das Foto Beilage ./A, in bearbeiteter Form zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten und/oder abrufbar zu halten, wenn sie hiezu nicht die Einwilligung der Klägerin haben und außerdem deren Namen als Urheberin bzw Lichtbildherstellerin nicht nennen. Das Lichtbild Beilage ./A sei urheberrechtlich geschützt und von den Beklagten ohne Zustimmung der Klägerin nach Art eines Cartoons  bearbeitet und verändert worden. Darüber hinaus maße sich der Erstbeklagte durch den auf der eigenmächtig veränderten Grafik angebrachten Copyright-Vermerk die Urheberschaft als Lichtbildhersteller an und verletze die dem Schutz geistiger Interessen der Klägerin dienende Bestimmungen der §§ 20, 21 UrhG.

V Gang des Verfahrens

Das Erstgericht gab mit Beschluss vom 14.05.2009 dem Sicherungsantrag ohne vorherige Anhörung der Beklagten statt. Den gegen diese Entscheidung erhobenen Widersprüchen beider Beklagten gab das Erstgericht mit Beschluss vom 15.10.2009 nicht Folge. Es hielt den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt für bescheinigt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, das Wahlwerbefoto der Klägerin sei ein geschütztes Lichtbildwerk, das die Beklagten ohne die dazu erforderliche Genehmigung der Klägerin bearbeitet und verändert hätten. Die Klägerin sei zur Verfolgung der ihr eingeräumten Urheberrechte legitimiert.

Das Rekursgericht bestätigte beide Beschlüsse des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es hielt ergänzend für bescheinigt, dass die Fotografin der Klägerin alle Rechte des Lichtbildherstellers bzw Urhebers am von ihr hergestellten Lichtbild Beilage ./A inhaltlich, zeitlich und räumlich unbeschränkt eingeräumt hat, dies einschließlich des Rechts, sich als Lichtbildhersteller bzw Urheber zu bezeichnen und des ausschließlichen unbeschränkten Werknutzungsrechts sowie der Befugnisse nach § 21 UrhG.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Rekursgericht die Klagelegitimation und führte in der Sache aus, das Foto Beilage ./A sei eine geistige Schöpfung und damit ein Lichtbildwerk iSd § 3 Abs 2 UrhG. Es sei damit auch vor unbefugter Bearbeitung geschützt. Die Klägerin sei gemäß § 20 Abs 1 UrhG berechtigt, dass dieses Lichtbildwerk mit der von ihr gewählten Urheberbezeichnung versehen werde. Die von den Beklagten erstellte Grafik Beilage ./J sei angesichts ihres Inhalts und Aufbaus nach ihrem Gesamteindruck keine selbständige Neuschöpfung iSd § 5 Abs 2 UrhG, sondern eine Bearbeitung des Lichtbilds Beilage./A. Die Verwertung der Grafik hätte daher der Bewilligung der Klägerin bedurft. Eine Bearbeitung dürfe auch nicht mit einer Urheberbezeichnung versehen werden, die ihr - wie hier - den Anschein eines Originalwerks gebe. Durch Aufnahme in ihre Homepage und durch Beifügung zu ihrer Postwurfsendung sei die Grafik vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht worden, welche Verwertungsrechte dem Urheber vorbehalten seien. Die Eingriffe in das Urheberrecht der Klägerin seien durch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) nicht gerechtfertigt. Die Beklagten seien einerseits keine politischen Gegner der Klägerin und übersähen andererseits, dass die von ihnen erstellte Grafik eine Bearbeitung eines fremden Lichtbilds sei. Jede freie Werknutzung finde ihre Grenze dort, wo sie ideelle Interessen des Urhebers verletze, was durch Kürzungen, Zusätze und andere Änderungen am Werk, an dessen Titel oder an der Urheberbezeichnung geschehen könne; Sinn und Wesen des benutzten Werks dürften in keinem Fall entstellt werden. Der Urheber sei in keinem Fall verpflichtet, eine Bearbeitung seines Werks, wie sie hier vorliege, zu dulden. Die freie Werknutzung umfasse kein Bearbeitungsrecht. Möge auch die Verwendung eines Lichtbilds zwecks Kritik am Rechteinhaber unter dem Aspekt der freien Werknutzung aufgrund von Art 10 EMRK allenfalls gerechtfertigt sein, so gelte dies keinesfalls für eine ideelle Interessen des Urhebers verletzende Bearbeitung seines Werks.

VI Rechtliche Beurteilung des Höchstgerichtes

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Rechtfertigung eines Urheberrechtseingriffs durch das in Art 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung abgewichen ist; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

2. In der Sache machen die Beklagten geltend, das Rekursgericht habe verkannt, dass die Grafik der Beklagten als Parodie im politischen Meinungsstreit durch das Recht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt sei; ihre Veröffentlichungen seien als - leicht als solche erkennbare - Parodie der von der Landeshauptfrau im Wahlkampf verwendeten Plakate zulässig.

3. Parodie ist in Österreich kein Terminus der Rechtssprache (Noll, Parodie und Variation, MR 2006, 196, 197 mit ausführlichen Literaturhinweisen in FN 9). Sie ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt und kann urheberrechtlich unter dem Gesichtspunkt der freien Benutzung des parodierten Werks (dazu näher Punkt 4.) und - als Folge einer Interessenabwägung zwischen Urheber und Nutzer - unter dem Aspekt der Kunst- und Meinungsfreiheit (dazu näher Punkt 5.) gerechtfertigt sein.

4.1. Bei der Parodie (griechisch: Nebengesang)  wird in satirischer, kritischer oder polemischer Absicht ein anderes, als bekannt vorausgesetztes Werk unter Beibehaltung kennzeichnender Formmittel, aber mit gegenteiliger Intention, nachgeahmt (Dreyer  in Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht² § 24 UrhG Rz 20 unter Hinweis auf Brockhaus). Dabei wird nur der Inhalt verändert; die äußere Form bleibt gleich, so dass das Nachgeahmte erkennbar ist.

4.2. Das entscheidende Kriterium von Parodie und Satire ist die inhaltliche oder künstlerische Auseinandersetzung mit bestimmten Aussagen und Eigenheiten des parodierten Werks (Loewenheim in Schricker, Urheberrecht³ § 24 Rz 22).

4.3. Einerseits verlangt die antithematische Behandlung der Parodie die gezielte Übernahme und Verfremdung wesentlicher Merkmale des parodierten Werks, so dass eine Beeinträchtigung, wenn nicht gar eine Entstellung, in der Regel zu bejahen ist. Andererseits erfährt der Leser, Hörer oder Betrachter, dass die Parodie gerade nicht vom Urheber des parodierten Werks stammt, sondern der Meinungs- und Äußerungsfreiheit des Parodisten entspringt. Deshalb sind seine Interessen höher zu bewerten als in anderen Fällen einer Beeinträchtigung; immer vorausgesetzt, dass im Einzelfall eine antithematische Behandlung vorliegt und als solche auch vom Publikum verstanden wird (Schulze in Dreier/Schulze, UrhG³ § 14 Rz 24 mwN).

4.4. Da die Parodie nicht in den Katalog der freien Werknutzung aufgenommen ist, kann sie gesetzessystematisch nur zulässig sein, wenn es sich bei ihr um eine Neuschöpfung gemäß § 5 Abs 2 UrhG handelt (Ciresa, UrhG § 5 Rz 57; Noll aaO 198). Ist eine Parodie als freie Bearbeitung anzusehen, werden die Rechte an dem parodierten Werk nicht berührt, und es ist auch kein Hinweis auf den Originalurheber erforderlich (Walter, Österreichisches Urheberrecht I 537; in diesem Sinne auch Dittrich, Zur urheberrechtlichen Beurteilung der Parodie, RfR 1993, 25, 26; Dillenz/Gutman, UrhG² § 5 Rz 11).

4.5. Ob überhaupt eine Parodie vorliegt, hängt im Einzelfall davon ab, ob das neue Werk trotz starker Anlehnung an Inhalt und Form des parodierten Werks doch eine ausreichend individuell schöpferische und selbständig geistig-künstlerische Leistung ist, in der die Züge des benutzten Werks eindeutig hinter den neuen, den parodistischen, zurücktreten. Das neue Werk muss gegenüber dem vorbestehenden Werk einen solchen Grad von Selbständigkeit und Eigenart aufweisen, dass von einer abhängigen Nachschöpfung nicht gesprochen werden kann (Noll aaO 199 mwN zur Rechtsprechung des BGH).

4.6. Für die Zulässigkeit einer Parodie ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Eine parodistische Zielsetzung darf kein Freibrief für unfreie Entlehnungen sein (Loewenheim aaO § 24 Rz 24). Nicht der Spaß auf Kosten anderer, sondern die eigene ernsthafte Aussage soll ermöglicht sein (Schulze aaO § 24 Rz 25 mwN).

4.7. Parodie kann mit verschiedenen Mitteln (Sprache, Bild etc) zum Ausdruck kommen. Wird das Foto einer Person technisch verändert, muss die Manipulation erkennbar sein, sonst wird gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen (Schulze aaO § 24 Rz 25 mwN).

5.1. Parodien stehen auch unter dem besonderen Schutz von Art 17a StGG (Kunstfreiheit) und von Art 10 EMRK (Meinungsfreiheit).

5.2. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist das Recht, eigene und andere Ideen und Informationen mitzuteilen, ohne daran durch den Staat gehindert zu werden. Die besondere Bedeutung dieses garantierten Rechts zeigt sich in der öffentlichen Diskussion über politische Fragen und Kritik von und an Politikern. Der Europäische Gerichtshof hat zu Recht betont, dass die Freiheit der politischen Diskussion das Herzstück einer demokratischen Gesellschaft ist und dass bei kritischen Äußerungen gegenüber Politikern die Grenzen zulässiger Kritik weiter sind (Meyer-Ladewig, EMRK² Art 10 Rz 11f, 30 mN).

5.3. Ist der Grundrechtsberechtigte ein Politiker, hat das regelmäßig eine genauere Kontrolle der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zur Folge. Unter Politiker werden in diesem Sinne nicht nur Mandatsträger verstanden, sondern auch Interessenvertreter, wie zB Funktionäre von Gewerkschaften, aber auch von Vereinen, die sich allgemeinen politischen Zielsetzungen verschrieben haben. Entscheidend ist die Teilnahme an der politischen Debatte (Grabenwarter, EMRK4 280 mN). Das Schutzrecht erfasst auch politische und kommerzielle Werbung; die Kommunikationsform kann in Äußerungen durch Wort, Schrift, Bild oder sonstige Symbole bestehen (Grabenwarter, EMRK4 268 mN).

5.4. Im Zusammenhang mit Parodien ist im Zweifel den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten großzügig der Vorrang zu geben; sie finden ihre Grenze aber etwa dort, wo die Parodie nur als Deckmantel für die wirtschaftliche Ausbeutung des Originals benutzt wird und wo die Parodie die Nachfrage nach dem Original nachhaltig stört (Noll aaO 200 mwN).

5.5. Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt erkannt, dass dem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch das durch Art 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung entgegenstehen kann (vgl die Darstellung und kritische Würdigung der neuen Rechtsprechung von Kucsko-Stadlmayer in Kucsko, urheber.recht 664 ff). Ob dies der Fall ist, ist durch eine Abwägung der vom Urheber oder seinem Werknutzungsberechtigten verfolgten Interessen mit dem Recht der freien Meinungsäußerung zu beurteilen (RIS-Justiz RS0115377).

5.6. Bei unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Werturteilen, basierend auf unwahren Tatsachenbehauptungen, gibt es kein Recht auf freie Meinungsäußerung (RIS-Justiz RS0107915). Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann eine Herabsetzung des politischen Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen er eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, nicht rechtfertigen (RIS-Justiz RS0032201). Bei Äußerungen von Politikern über den Gegner können unter Umständen auch massiv in die Ehre des Gegners eingreifende Werturteile noch zulässig sein. Diese bedürfen aber eines rechtfertigenden wahren Sachverhalts als Basis der pointiert zum Ausdruck gebrachten Kritik (RIS-Justiz RS0032201 [T5]).

5.7. Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien lassen sich wie folgt zusammenfassen (Kucsko-Stadlmayer aaO 672): Das Verhalten fällt in den Schutzbereich von Art 13 StGG bzw Art 10 EMRK, und es handelt sich nicht um unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen; die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers werden nicht ausgehöhlt; die normale Auswertung des Werks wird nicht beeinträchtigt; die berechtigten Interessen des Urhebers werden nicht ungebührlich verletzt; das Grundrecht der freien Meinungsäußerung kann ohne Eingriff in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht nicht oder nur unzulänglich ausgeübt werden.

5.8. Die zur Rechtfertigung eines Eingriffs im Einzelfall führenden Umstände hat derjenige zu behaupten und zu beweisen, der sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung beruft. Er muss behaupten und beweisen, dass er in die Urheber- und Verwertungsrechte nicht über das im zu beurteilenden Fall erforderliche Ausmaß eingegriffen hat und die für den beabsichtigten Zweck unumgängliche Nutzung der Werke nicht anders hätte erreichen können (vgl RIS-Justiz RS0115377 [T9]).

5.9. Gegenstand der Entscheidung 4 Ob 194/01k war die Verwendung des Lichtbilds der Spitzenkandidatin der Freiheitlichen Partei im Wiener Landtagswahlkampf 2001 auf den Homepages der Beklagten zum Zweck der kritischen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Zuge dieses Wahlkampfs (zur Herstellung parodistischer e-mails im grafischen Erscheinungsbild von Plakaten der Freiheitlichen Partei, aber mit persiflierenden Slogans). Die Verwendung wurde dort für zulässig erachtet und ausgesprochen, dass die Klägerin als Werknutzungsberechtigte einer Plakatgrafik und Inhaberin der Leistungsschutzrechte am Lichtbild in einer politischen Auseinandersetzung Eingriffe in ihre Rechte dann hinnehmen muss, wenn dafür ein ausreichender Rechtfertigungsgrund vorliegt (was dort mit der freien Werknutzung für den politischen Gegner in der politischen Auseinandersetzung des Wahlkampfs aufgrund Art 10 EMRK zu bejahen war).

5.10. Im Fall 4 Ob 2247/96m (= MR 1997, 26 - Ich werde dafür sorgen) wurden Plakate der SPÖ in dem - zu dieser Zeit noch laufenden - Nationalratswahlkampf 1995 nachgeahmt. Der abgebildete Kläger war mit seinem auf § 78 UrhG gestützten Unterlassungsbegehren nicht erfolgreich. Der Senat führte dort aus: Als Spitzenkandidat einer wahlwerbenden Partei muss sich der Kläger eine Kritik seiner Wahlkampfaussagen gefallen lassen, auch wenn sie, um besonders einprägsam zu sein, seinen Wahlkampfstil nachahmt und seine Aussagen persifliert. Die Grenzen zulässiger politischer Kritik werden dadurch nicht überschritten; die Bildveröffentlichung verletzt die berechtigten Interessen des Klägers nicht.

6.1. Nach den zuvor dargestellten Grundsätzen sind die den Beklagten zur Last gelegten Eingriffe in Urheber- und Leistungsschutzrechte zweifach gerechtfertigt, nämlich einerseits als parodistische freie Bearbeitung einer Wahlkampfwerbung der Klägerin, andererseits durch das Recht auf freie Meinungsäußerung:

6.2. Die Beklagten haben mit der angegriffenen Grafik den Wahlkampfstil der Klägerin in einer für die angesprochenen Verkehrskreise erkennbaren Form durch deutliche Bezugnahme auf ein Wahlplakat parodistisch nachgeahmt, indem sie die in der Wahlwerbung verwendeten Aussagen der Klägerin antithematisch behandelt und mit Hilfe dieses Gestaltungsmittels ihre eigenen Aussagen in einer politischen Debatte zur Geltung gebracht haben. Die Grafik weist vor allem durch die Verfremdung des als Vorlage dienenden Lichtbilds zu einer Zeichnung und den neu aufgenommenen Text ausreichende schöpferische Züge auf, um als individuelle und selbständige geistige Leistung und damit freie Bearbeitung des Vorbilds (§ 5 Abs 2 UrhG) angesehen werden zu können.

6.3.1. Der in der Grafik mitgeteilte Tatsachenkern ist nicht unwahr oder ehrenrührig; der Klägerin oder ihrer Spitzenkandidatin wird damit auch keine Gesetzesverletzung vorgeworfen. Die verbale Gleichsetzung von Abtreibung mit Tötung ist eine pointiert zum Ausdruck gebrachte Kritik, deren Werturteil auf einem wahren Sachverhalt beruht, weshalb sie nach der Rechtsprechung des EGMR als wertende Äußerung im politischen Meinungsstreit von und gegen Politiker zulässig ist (6 Ob 284/00h und 6 Ob 238/02x je mwN).

6.3.2. Die Abbildung höhlt auch weder die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers aus, noch beeinträchtigt sie die normale Auswertung des als Vorbild dienenden Lichtbilds. Selbst wenn man die Grafik nicht als freie Bearbeitung beurteilen wollte, wäre ihre Veröffentlichung daher durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt, das ohne Eingriff in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht nicht oder nur unzulänglich in der gewählten Form einer parodistischen Anspielung ausgeübt werden könnte. Dass die Einwilligung der Klägerin nicht zu erreichen gewesen wäre, gesteht die Revisionsrekursbeantwortung selbst zu. Es spielt auch keine Rolle, dass der Erstbeklagte kein Wahlwerber ist; es genügt, dass sich die Beklagten im Rahmen der öffentlichen Diskussion über die politische Frage des Schwangerschaftsabbruchs in einem Landeskrankenhaus geäußert haben.

7. Dem Sicherungsbegehren kann daher kein Erfolg beschieden sein. Auf die im Rechtsmittel angesprochene Frage der Aktivlegitimation kommt es damit nicht weiter an.

VII Kommentare

Kommentare der Lehre

Zitiert wird im Urteil Noll  in Parodie und Variation – Über spezifische Formen der Werkbenützung im österreichischen Urheberrecht in MR 2006,196 mit der zunächst grundsätzlichen Unterscheidung zwischen (Zitat)

Nachschöpfung (Bearbeitung), bei der das Werk in wesentlichen Zügen wiederkehrt und Neuschöpfung, bei der die Züge des benützen Werkes wegen Individualität des neuen Werkes verblassen. Speziell für die (nach dem österreichischen Urheberrecht grundsätzlich zulässige) Parodie stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen zustimmungsbedürftigerBearbeitung und "Freischöpfung" liegt. Diese Abgrenzung ist deshalb schwierig, weil sich die Parodie sich immer an das andere Werk anlehnt, bei einer Parodie charakteristische Elemente desverwendeten Werkes übernommen werden müssen, damit dieses erkennbarbleibt und das Vorbild erkennbar werden soll und muss, wenn nicht Sinn und Zweck der Parodie verfehlt sein soll. Es ist daher im Einzelfall zu untersuchen, ob die Parodie bei starker Anlehnung an Inhalt und Form des parodierten Werkes doch ausreichend individuell schöpferische und selbständig geistig-künstlerische Leistung ist, in der die Züge des benutzten Werkes eindeutig hinter den neuen, den parodistischen, zurücktreten, ob also das neue Werk gegenüber dem vor-bestehenden Werk einen  solchen Grad von Selbständigkeit und Eigenart aufweist, dass von einer abhängigen Nachschöpfung nicht gesprochen werden kann (Abstandsgebot). Nur wenn dies gelingt, dann "verblassen " die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Vorlage-Werkes in dem neuen und werden von dessen eigenschöpferischen Gehalt überlagert.

Noll  führt auch aus,dass(Zitat aaO)

Parodien in Österreich unter dem besonderen Schutz von Art 17a StGG (Kunstfreiheit) und von Art 10 EMRK stehen; die Verletzung der Urheberrechte muss dann aber der einzige Weg sein, um das Grundrecht ausüben zu können. Je nachdem, ob und in welchem Umfang diese Grundfreiheiten angemessen in Rechnung gestellt werden, ergibt sich ein unterschiedliches Ausmaß der Zulässigkeit von Parodien. Die Grenzen sind indes jedenfalls dort überschritten, wo die Parodie "nur als Deckmantel für die wirtschaftliche Ausbeutung de Originals benutzt wird " oder wo die Parodie die Nachfrage nach dem Original nachhaltig stört bzw eine "normale" Verwertung des Werks der Benutzung entgegensteht - womit nicht ausgeschlossen ist, dass die Schaffung einer Parodie gegebenenfalls auch kommerziellen Zwecken dient.

Schließlich wiest Noll  (aaO) darauf hin, dass (Zitat)

-soweit die Parodie nach Maßgabe der Art 17a StGG (Kunstfreiheit) und Art 10 EMRK (Meinungsfreiheit) im Verhältnis zum Original-Urheber zulässig ist - neben der notwendigen Abwägung zwischen dem Urheberrecht des Original-Autors und dem Grundrecht des Parodisten überdies zwischen den Persönlichkeitsrechten des "betroffenen" Original-Autors (§§ 6 ff MedienG; § 111 StGB (Üble Nachrede), §§ 16, 43 und 1330 ABGB (allgemeines Persönlichkeitsrecht, Namensrecht und Kreditschädigung), § 78 UrhG (Bildnisschutz)) und diesen Grundrechten abzuwägen ist; die anzuwendenden Wertung-smaßstäbe sind verschieden, und deshalb besagt die urheberrechtliche Zulässigkeit der Parodie noch nichts über die persönlichkeitsrechtliche Unbedenklichkeit der Parodie.

Die Entscheidung Lieblingshauptfrau  wird in der Lehre heftig diskutiert, wie drei Beispiele zeigen:

Thiele in Parodistische Verfremdung eines Wahlplakates – Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit in MR 2010, 327 erachtet (Zitat) 

als bemerkenswert neu an der vorliegenden Entscheidung -, dass eine comicartige Verfremdung eines Wahlplakates bereits ausreicht, eine individuelle und selbstständige geistige Leistung im Sinne einer freien Bearbeitung des Vorbilds nach § 5 Abs 2 UrhG zu erschaffen. Die vorliegende Entscheidung findet er auch deshalb bemerkenswert, weil das Höchstgericht erstmals - außerhalb des unmittelbaren politischen Meinungskampfes - die öffentliche Verbreitung ehrenrühriger und beleidigender Tatsachen gegenüber wahlwerbenden Gruppen zulässt, obwohl der Verbreiter selbst keine wahlwerbende Gruppe ist. Der Verein Jugend für das Leben mag zwar gewissen politischen Richtungen oder Organisationen nahe stehen, hat aber keineswegs bei der Landtagswahl in Salzburg im März 2009 kandidiert. Dies bedeutet, dass das österreichische Höchstgericht den durch die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 MRK abgesteckten Freiraum rechtmäßiger Kritik erheblich zu Lasten von Urheber- und Leistungsschutzberechtigten erweitert hat. Der Richterspruch eröffnet damit im Prinzip jedermann die Möglichkeit, scharfe Kritik zu gesellschaftspolitischen Themen wie Abtreibung, Tierhaltung oder Umweltverschmutzung sehr weitgehend unter Missachtung von urheberrechtlichen oder persönlichkeitsrechtlichen Ansprüchen Dritter zu üben.

Walter ebenfalls in Parodistische Verfremdung eines Wahlplakates – Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit in MR 2010, 327e rwähnt eine großzügige Betrachtung in zweierlei Hinsicht zum einen (Zitat)

besteht auch die "antithematische" Aussage der Parodie in einer bloßen Verneinung ("Kein Kindergarten. Keine Freunde. Keine Lieblingshauptfrau!") und weist daher kaum urheberrechtliche Originalität auf, sie wird aber als Parodie im Sinn einer großzügigeren Beurteilung zulässig sein

und zum anderen (Zitat):

auch wenn die Entfernung vom Original gleichfalls vergleichsweise gering ist, wird dies im Sinn einer großzügigeren Beurteilung im Fall von Parodien gleichfalls als ausreichend angesehen werden können. Dies vor allem im Hinblick auf die ironisch-witzige Verbindung des "Originals" (Landeshauptfrau mit Kindern im Kindergarten) mit der Anspielung auf die in einer bestimmten Landesklinik ermöglichten Abtreibungen, was durch das "Ausblenden" eines der Kinderköpfe aus der Sicht des beklagten Vereins kritisch angeprangert wird.

Walter  kritisiert (aaO), dass (Zitat) 

die vorliegende Entscheidung zwar dahingehend einschränkt, dass, die Meinungsäußerungsfreiheit Eingriffe in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht Dritter nur dann decken würde, wenn die Meinungsäußerung ohne Nutzung des fremden Werks (oder eines anderen Schutzgegenstands) "nicht oder nur unzulänglich" zum Ausdruck gebracht werden könnte, dies aber  im gegenständlichen Fall aber mit Sicherheit nicht zu trifft, da die gegenständliche "Gegenaussage" auf vielfältige Weise in Wort und Bild zum Ausdruck gebracht werden könnte, ohne das Wahlplakat der klagenden Partei zu benutzen.

Walter  kritisiert ferner die vorliegende Entscheidung (aaO) insofern, als (Zitat) 

- in Anspielung auf den "Drei-Stufen-Test" – hervorgehoben wird, dass die Abbildung des beklagten Vereins weder die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers aushöhle noch die normale Auswertung des als Vorbild dienenden Lichtbilds beeinträchtige, aber … nicht zu übersehen ist, dass (neben der politischen Partei als Inhaberin der Werknutzungsrechte) dem Urheber auch - grundsätzlich nicht übertragbare - Urheberpersönlichkeitsrechte zustehen, und es nicht jedermanns Sache ist, in einen werblichen Zusammenhang für (politisches) Gedankengut gestellt zu werden, mit dem er sich möglicher Weise nicht identifiziert. Gerade dieser Aspekt wird auch in dem dritten, in der vorliegenden Entscheidung nichterwähnten und ausgesparten Schritt des "Drei-Schritt-Tests" angesprochen, wonach jedenfalls berechtigte Urheberinteressen nicht unzumutbar verletzt werden dürfen. Dies im Übrigen ganz abgesehen davon, dass ein an der politischen Auseinandersetzung Unbeteiligter (hier: der Fotograf) die Benutzung seiner Leistung zu einer weiteren, wohl nicht vereinbarten (politischen) Werbekampagne dulden muss, ohne hierfür auch nur ein Honorar zu erhalten.

Handig in Auch Spaß muss sein – Parodie versus Urheberrecht: Eine Besprechung der Entscheidung Lieblingshauptfrau in ÖBl 2011/18  notiert zusammenfassend, dass (Zitat)  

die Rechtsprechung einen pragmatischen Problemlösungsansatz für die urheberrechtliche Behandlung der Parodie gewählt hat und  substanziellen Mängel in der dogmatischen Fundierung dabei nicht ihr zuzuschreiben sind, sondern Folge einerseits der Systemfremdheit des Phänomens Parodie (wie auch der Karikatur) und andererseits der mangelnden Normierung eines Ausnahmetatbestands für dieses Phänomen sind.

So sehr nach Handig (aaO) (Zitat)

die grundsätzliche Zulässigkeit der Parodie durch die Rechtsprechung zu begrüßen ist, sind doch die Anforderungen zum Teil zu hoch, wie etwa, dass die Nachfrage nach der Vorlage nicht nachhaltig gestört werden dürfe oder das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ohne Eingriff in das Urheber- oder Leistungsschutzrecht nicht (oder nur unzulänglich) ausgeübt werden könnte. Da diese Kriterien teilweise nicht einmal im Anlassfall erfüllt wurden, bleibt zu hoffen, dass sie nachjustiert werden.

Favorartis Kommentar

Die Kritik der Lehre ist deutlich und im Sinne einer überschießenden und großzügigen Auslegung zugunsten einer Parodie (sowohl als Eingriff in das Urheberrecht des Fotografen als auch als Rechtfertigung für eine ohne Verwendung des Plakates nicht mögliche oder unzulängliche Kritik an einer wahlwerbende Partei) berechtigt. ⇒ Kein Favor artis für die klagende Partei !


VIII Hinweise zu dieser Webseite

  1. Der Text der Entscheidung ist dem RIS (Open Government Data) entnommen.
  2. Personenbezogene Daten, die über die Veröffentlichung im RIS hinausgehen, ergeben sich aus dem Bekanntheitsgrad der abgebildeten Person.
  3. Die angeführten Zitate von Noll, Thiele, Walter und Handig (mit Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.
  4. Parodien und Karikaturen sind auch Gegenstand der Webseiten Erzherzog Jörgerl,  Strauß-Karikatur,  Parodie,  Pussy Riot,  The Wind Done GonePretty Woman  und  Hustler Magazine.

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