I Autor und Werk
J’accuse…! (französisch für Ich klage an…!) ist der Titel eines offenen Briefes des französischen Schriftstellers Émile Zola an Félix Faure, den damaligen Präsidenten der Französischen Republik, um diesen und die Öffentlichkeit über die wahren Hintergründe der Dreyfus-Affäre zu informieren. Der Brief erschien am 13. Januar 1898 in der Tageszeitung L’Aurore, verursachte einen großen politischen Skandal und gab der Dreyfus-Affäre eine entscheidende Wendung. J’accuse ist auch in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen als Bezeichnung für eine mutige, öffentliche Meinungsäußerung gegen Machtmissbrauch.
Zum offenen Brief siehe Wikipedia (deutsch) und ausführlich Wikipedia (französisch).
Émile Édouard Charles Antoine Zola (* 2. April 1840 in Paris; † 29. September 1902 in Paris) war ein französischer Schriftsteller, Maler und Journalist.
Zola gilt als einer der großen französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts und als Leitfigur und Begründer der gesamteuropäischen literarischen Strömung des Naturalismus. Zugleich war er ein sehr aktiver Journalist, der sich auf einer gemäßigt linken Position am politischen Leben beteiligte.
Zur Biografie siehe Wikipedia (deutsch).
II Dreyfus-Affäre als Ausgangspunkt (1894 bis 1898)
Zitat aus Wikipedia (Dreyfus-Affäre):
Die Dreyfus-Affäre war ein Justizskandal, der die französische Politik und Gesellschaft in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts tief spaltete. Er betraf die Verurteilung des Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus 1894 durch ein Kriegsgericht in Paris wegen angeblichen Landesverrats zugunsten des Deutschen Kaiserreichs, die in jahrelange öffentliche Auseinandersetzungen und weitere Gerichtsverfahren mündete. Die Verurteilung des aus dem Elsass stammenden jüdischen Offiziers basierte auf rechtswidrigen Beweisen und zweifelhaften Handschriftengutachten. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Freispruch Dreyfus’ setzten sich zunächst nur Familienmitglieder und einige wenige Personen ein, denen im Verlauf des Prozesses Zweifel an der Schuld des Angeklagten gekommen waren.
Der Justizirrtum, der auch Elemente von Rechtsbeugung enthielt, weitete sich zum ganz Frankreich erschütternden Skandal aus. Höchste Kreise im Militär wollten die Rehabilitierung Dreyfus’ und die Verurteilung des tatsächlichen Verräters Major Ferdinand Walsin-Esterházy verhindern. Antisemitische, klerikale und monarchistische Zeitungen und Politiker hetzten Teile der Bevölkerung auf, während Menschen, die Dreyfus zu Hilfe kommen wollten, ihrerseits bedroht, verurteilt oder aus der Armee entlassen wurden. Der bedeutende naturalistische Schriftsteller und Journalist Émile Zola musste beispielsweise aus dem Land fliehen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Er hatte 1898 mit seinem berühmt gewordenen Artikel J’accuse…! (Ich klage an …!) angeprangert, dass der eigentlich Schuldige freigesprochen wurde.
III Inhalt des offenen Briefes
Zitat aus Wikipedia (J'accuse):
Émile Zola wies auf die zahlreichen juristischen Fehlleistungen und Beweisfälschungen sowie auf den völligen Mangel an seriösen Beweisen gegen Dreyfus hin. Er legte dar, dass Dreyfus’ Verurteilung auf falschen Anschuldigungen basierte und einen groben Justizirrtum darstelle, als dessen Hauptverursacher er den mit der Untersuchung beauftragten Major Armand du Paty de Clam ausmachte. Dessen Untersuchungsmethoden sowie die Anklage zeugten von Voreingenommenheit, Inkompetenz und Manipulationen. Zola beleuchtete zudem die „Affäre Esterhazy“, also den Freispruch des eigentlich Schuldigen. Die in ihre Lügen verstrickten Offiziere hätten es aus Korpsgeist nicht gewagt, die Wahrheit zu bezeugen. Der jesuitisch unterwanderte Generalstab habe sich stattdessen der „Schmutzpresse“ zu antisemitischer Propaganda bedient.
Im Detail wird von Anfang des Textes an die Unschuld von Dreyfus ausgerufen (Zitat aus dem Internetarchiv):
- Meine Pflicht ist es, zu sprechen, ich will nicht Mitschuldiger sein. Meine Nächte würden gestört werden durch das Gespenst des Unschuldigen, der da drüben für ein Verbrechen büßt, das er nicht begangen hat.
und namentlich Anklage gegen neun Personen, das Kriegsministerium und die beiden Kriegsgerichte erhoben:
- Ich klage den Oberstleutnant du Paty de Clam an, der teuflische Verfertiger des Justizverbrechens - wenn auch unbewusst, wie ich glauben will - gewesen zu sein und dann sein unheilvolles Werk seit drei Jahren mit den abgeschmacktesten und verwerflichsten Machenschaften verteidigt zu haben.
- Ich klage den General Mercier an, sich mindestens aus Schwäche an einer der größten Ungerechtigkeiten des Jahrhunderts mitschuldig gemacht zu haben.
- Ich klage den General Billot an, die sicheren Beweise für Dreyfus' Unschuld in Händen gehabt und sie unterdrückt und sich dieses Verbrechens einer Verletzung der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit schuldig gemacht zu haben, in der politischen Absicht, den kompromittierten Generalstab zu retten.
- Ich klage den General de Boisdeffre und den General Gonse an, sich an demselben Verbrechen mitschuldig gemacht zu haben, der eine zweifellos aus leidenschaftlichen klerikalen Neigungen, der andere vielleicht aus jenem Korpsgeist heraus, der die Bureaus des Kriegsministeriums zum unnahbaren Allerheiligsten macht.
- Ich klage den General de Pellieux und den Major Ravary an, eine verbrecherische Untersuchung geführt zu haben; ich verstehe darunter eine Untersuchung von jener ungeheuerlichen Parteilichkeit, wie sie sich uns in dem Bericht Ravarys kundgibt, einem unvergänglichen Denkmal von naiver Verwegenheit.
- Ich klage die drei Schreibsachverständigen, die Herren Belhomme, Varinard und Couard an, verlogene und betrügerische Berichte erstattet zu haben, es sei denn, dass eine ärztliche Untersuchung sie als von einer Erkrankung des Seh- und des Urteilsvermögens befallen erklärt.
- Ich klage das Kriegsministerium an, in der Presse, insbesondere im >Eclair< und im >Echo de Paris<, einen abscheulichen Feldzug geführt zu haben, um die öffentliche Meinung irrezuleiten und seinen Fehler zu verdecken.
- Ich klage endlich das erste Kriegsgericht an, das Recht vergewaltigt zu haben, indem es einen Angeklagten auf ein geheimgebliebenes Schriftstück hin verurteilte, und ich klage das zweite Kriegsgericht an, diese Rechtsverletzung gedeckt zu haben, indem es seinerseits das Rechtsverbrechen beging, wissentlich einen Schuldigen freizusprechen.
und alldies im Bewusstsein einer Verleumdung getätigt:
- Indem ich diese Anklagen erhebe, weiß ich sehr wohl, dass ich mich vor den Artikeln 30 und 31 des Pressgesetzes vom 29. Juli 1881, die das Vergehen der üblen Nachrede mit Strafe bedrohen, verantwortlich mache. Absichtlich setze ich mich dem aus.
Zitat aus Wikipedia (Dreyfus-Affäre):
Zolas offener Brief gilt bis heute als eine der größten publizistischen Sensationen des 19. Jahrhunderts und wurde zum Wendepunkt in der Affäre Dreyfus, urteilt Ruth Harris. Der Mut, den er mit dieser Veröffentlichung bewies, ist nach Begley nicht hoch genug einzuschätzen. Er befand sich auf dem Höhepunkt seines schriftstellerischen Erfolgs, seine Aufnahme in die Académie française schien vor dem Erscheinen des Artikels und dem darauf folgenden Skandal nur eine Frage der Zeit zu sein. Zola wollte mit seinem kämpferischen Text einen Prozess provozieren, da Dreyfus vor der Militärgerichtsbarkeit ein weiteres Verfahren vorerst verwehrt blieb. Er hoffte auf einen Freispruch durch die zivile Rechtsprechung, der zugleich eine Anerkennung der Unschuld des Offiziers Alfred Dreyfus dargestellt hätte.Er riskierte damit aber auch, selbst inhaftiert und verurteilt zu werden.
IV Online-Ausgaben des offenen Briefes
Die französische Fassung von J'accuse ist via Wikisource nachlesbar, die deutsche Fassung von Ich klage an kann im Internet Archiv abgerufen werden.
V Weiterentwicklung der Dreyfus-Affäre nach dem offenen Brief
Zitat aus Wikipedia (Émile Zola):
Zola wurde daraufhin der Verleumdung angeklagt, wie er es am Ende des Briefs vorausgesehen und in Kauf genommen hatte, und am 23. Februar 1898 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Um der Haftstrafe zu entgehen, floh er nach England, von wo er nach seiner Begnadigung erst im Juni 1899 zurückkehrte. Zola starb zu Beginn der Heizperiode im Herbst 1902 durch eine Kohlenmonoxidvergiftung in seinem Pariser Haus. Gerüchte, er sei durch absichtliches Verstopfen des Kamins ermordet worden, konnten bis heute nicht gänzlich entkräftet werden. Eine Grabstätte befindet sich auf dem Friedhof Montmartre.
Zitat aus der Einleitung in Wikipedia (Dreyfus-Affäre):
Die im Juni 1899 neu gebildete Regierung unter Pierre Waldeck-Rousseau setzte auf einen Kompromiss, nicht auf eine grundsätzliche Korrektur des Fehlurteils, um die Auseinandersetzungen in der Affäre Dreyfus zu beenden. Wenige Wochen nach seiner zweiten Verurteilung wurde Dreyfus begnadigt. Ein Amnestiegesetz garantierte gleichzeitig Straffreiheit für alle mit der Dreyfus-Affäre im Zusammenhang stehenden Rechtsbrüche. Lediglich Alfred Dreyfus war von dieser Amnestie ausgenommen, was es ihm ermöglichte, sich weiter um eine Revision des Urteils gegen sich zu bemühen. Am 12. Juli 1906 hob schließlich das zivile Oberste Berufungsgericht das Urteil gegen Dreyfus auf und rehabilitierte ihn vollständig. Dreyfus wurde wieder in die Armee aufgenommen, zum Major befördert und darüber hinaus zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Der strafversetzte Major Marie-Georges Picquart, ehemals Leiter des französischen Auslandsnachrichtendienstes (Deuxième Bureau) und eine Schlüsselfigur bei der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus, kehrte mit dem Rang eines Brigadegenerals in die Armee zurück.
VI Ein Europäisches Medienereignis
Das Projekt Europäische Geschichte Online nimmt Prozesse interkulturellen Austauschs in der europäischen Geschichte in den Blick, die über staatliche, nationale und kulturelle Grenzen hinauswirkten. Europäische Geschichte Online beschreibt Europa als einen stets in Wandlung befindlichen Kommunikationsraum, in dem vielgestaltige Prozesse der Interaktion, Zirkulation, Überschneidung und Verflechtung, des Austauschs und Transfers, aber auch von Konfrontation, Abwehr und Abgrenzung stattfanden.
Laut Europäische Geschichte Online gehört die Dreyfus-Affäre zu den 12 angeführten Europäischen Medienereignissen. Die Dreyfus-Affäre wird in Europäische Geschichte Online von Karl Ziegler im Artikel vom 18.12.2019 unter dem Titel Emile Zolas "J'accuse" und die Dreyfus-Affäre ausführlich beschrieben.
VII Adaptionen
Von den zahlreichen Bearbeitungen der Dreyfus-Affäre in Literatur und Film - aufgelistet am Ende des Eintrages in Wikipedia (Dreyfus-Affäre) - sei die jüngste Verfilmung Intrige von Roman Polanski aus dem Jahr 2019 hervorgehoben. Andreas Borcholte konstatiert am Ende seines Beitrages Ein wichtiger Film, ein endloser Skandal in Spiegel-Online am 30.08.2019 wie folgt (Zitat):
Eine Dreyfus-Affäre könne jederzeit wieder passieren, sagte Polanski in einem Interview, das dem Pressematerial zum Film beigefügt war: "Alle Zutaten sind vorhanden, um es geschehen zu lassen: Falsche Anschuldigungen, miserable Gerichtsprozesse, korrupte Richter - und vor allem die sozialen Medien, die ohne fairen Prozess oder das Recht auf Revision verurteilen und verdammen."
Das klingt, als vermenge Polanski hier den Umgang mit seiner Person mit den Mechanismen, die er selbst im Film so grandios seziert.
Sortiert man klarer, muss man, statt komplexe Sachverhalte miteinander in Zusammenhang zu bringen, einfach aushalten: Polanski ist ein Mann, der einerseits seine Macht missbraucht hat. Er ist aber andererseits auch ein begnadeter Regisseur, der einen großen Film gedreht hat.
VIII Hinweise zu dieser Webseite
- Die Zitate aus der freien Enzyklopädie Wikipedia (zum offenen Brief, zum Autor, zur Dreyfus-Affäre und zur Verfilmung), aus dem Internetarchiv, aus Europäische Geschichte Online und aus Spiegel Online (mit den jeweils aus der Verlinkung ersichtlichen Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.
- Es besteht die Möglichkeit, eine Textausgabe des Werks auf Wikisource und im Internetarchiv zu lesen.
- Personenbezogene Daten ergeben sich aus der Literaturbeschreibung, aus dem Bekanntheitsgrad des Autors und seines Werks und schließlich aus dem Bekanntheitsgrad des Regissuers der Verfilmung Intrige.