Stitching

EGMR 15.05.2018 Unifaun vs Malta 37826/13

I Kunstwerk

Es bedarf einiger Quellen, um das Theaterstück Stitching  zu beschreiben:

Die Erstinformation (siehe Box nebenan) wird im englischsprachigen Wikipedia gegeben. Sie erwähnt bereits die Censorship controversy in Malta. Auch im Wikipedia-Eintrag zum Autor ist  das Censorship of Stitching in Malta angeführt.

Das Werk wird 2002 in englischer Originalsprache bei Bloomsbury Methuen Drama, London (ISBN 0-413-77293-4) verlegt.

 

In deutscher Sprache (übersetzt von Barbara Christ) erscheint das Werk unter dem Titel Stiche im Deutschen Theaterverlag, Weinheim .Es wird wie folgt beschrieben (Zitat):

Ihre Diskussion dreht sich im Kreis, eine Geschichte von Untreue, Verletzungen und Vertrauensbrüchen steht zwischen ihnen. Schnitt. Plötzlich sehen wir das Paar in einer Szene, in der sich Abby als Hure verkauft und Stu als Kunde die Freiheit hat, seine sadistischen sexuellen Phantasien an ihr auszuleben. Zwischen diesen beiden Ebenen bewegt sich das Stück im folgenden hin und her; lange bleibt offen, ob es sich bei den eingeschobenen Szenen um Rückblenden auf den Beginn der Beziehung handelt oder um die immer bizarrer werdenden, zerstörerischen sexuellen Spiele des Paars? Die Ängste und Konflikte des sogenannten "normalen" Lebens verweben sich mit denen der pornographischen Phantasien. Die Grenze zwischen Konsens und Kontrolle verwischt sich auf verwirrende Weise. Zärtlichkeit und Gewalt, Selbstbehauptung und -erniedrigung stehen sich unlösbar gegenüber.

In der Bundesrepublik Deutschland wird Stiche am 10. und 11.07.2009 im Theater im OP in Göttingen unter der Regie von Peter Schubert aufgeführt und in einer Kritik einerseits als Wagnis und andererseits als Theater zum Fürchten und Lieben beschrieben.

Andrew Haydon weist am 20.02.2009 im Guardian unter dem Titel

Anthony Neilson's Stitching: don't ban this sick play - Yes, it's an extreme and unsettling work, but the Maltese government is wrong to disallow its staging
Anthony Neilson's Stitching: Kein Verbot dieses ärgerlichen Theaterstückes - Ja, es ist ein extremes und verstörendes Stück, aber die maltesische Regierung hat Unrecht, wenn sie es nicht zulässt

darauf hin, dass die Aufführung des Theaterstücks Stitching in Malta aus mehrfachen Gründen (ua wegen Blasphemie durch Verwendung von Passagen wie "Jesus f*cking Christ" und der Anwort "F*ck ihn" auf "Sonntag ist der Tag des Herrn", wegen obszöner Verachtung für die Opfer von Auschwitz oder wegen einer enzyklopädischen Überblicks über gefährliche Sexualpraktiken verboten wurde und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass in einer europäischen Demokratie zu Beginn des 21. Jahrhunderts die rechtlichen Schritte des Theaterveranstalters Unifaun gegen die maltesische Regierung erfolgreich sein werden und zu einer Änderung jenes bedauerlichen Gesetzes führen werde, dass der Polizei die Befugnis einräumt, Aufführungsverbote für Theaterstücke zu erlassen.

Es sollten allerdings noch 9 Jahre vergehen, bis sich Haydon's Hoffnung erfüllte.

II Schlagworte

Freiheit der Meinungsäußerung Art 10 EMRK - Kunstfreiheit - Blasphemie - Obszönität - Zensur - Inhaltskontrolle - Theater - Aufführungsverbot

III Parteien

5  Die Erstklägerin, die Unifaun Theatre Productions Limited, ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Theateraufführungen in maltesischen Theatern produziert. Zweit- und Drittkläger sind die beiden Geschäftsführer der Gesellschaft. Die Viertklägerin ist die künstlerische Leiterin der Theaterproduktion "Stitching", eines Theaterstücks des schottischen Dramatikers Anthony Neilson, das ursprünglich 2002 im Vereinigten Königreich vom Verlag Metheun Drama veröffentlicht wurde. Der Fünftkläger ist Schauspieler, der für die Rolle in der genannten Produktion engagiert wurde (als Hauptfigur Stu).

IV Sachverhalt

7  Am 23. Dezember 2008 reichte Unifaun beim Board for Film and Stage Classification (Board) einen Antrag auf Ausstellung einer Altersfreigabe für ihre Aufführung des Stücks „Stitching“ des schottischen Dramatikers Anthony Neilson ein. Die entsprechende Gebühr wurde gezahlt und eine Kopie des Skripts vorgelegt.

9 -13  Am 20. Januar 2009 verbot das Board“die Aufführung des Stücks auf Malta, ohne dafür Gründe anzugeben. Nach einem Briefwechsel mit dem Board wurde das Ensemble darüber informiert, dass die ursprüngliche Entscheidung bestätigt wurde. In einem Brief vom 30. Januar 2009 an das Ensemble, der beim Polizeipräsidenten hinterlegt wurde, wurden die Gründe für das Verbot der Aufführung wie folgt aufgeführt:

  • Blasphemie gegen die Staatsreligion – Seiten 10 und 17
  • Obszöne Verachtung für die Opfer von Auschwitz – Seite 29
  • Eine enzyklopädische Übersicht über gefährliche sexuelle Perversionen, die zu sexueller Knechtschaft führen – Seiten 33, 34 und einige andere
  • Abbys Lobrede für die Kindermörder Fred und Rosemary West – Seite 35
  • Hinweis auf Kindesentführung, sexuellen Missbrauch und Mord – Seite 36

Weil das Stück "zusammenfassend ein düsteres Muster aus Gewalt und Perversion ist, in dem die Summe der Teile größer ist als das Ganze", kam das Board zu dem Schluss, dass das Stück „die Grenzen des öffentlichen Anstands überschritten hat".

V Nationales Verfahren

19  Am 3. März 2009 wandten sich die Antragsteller an das maltesische Gericht und machten einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK geltend. Sie forderten auch Schadenersatz und Wiedergutmachung. Sie beschwerten sich nach Artikel 6 EMRK und führten dazu aus, dass vor dem Board kein faires Verfahren stattfand, da sie weder gehört worden seien und keine Möglichkeit gehabt hätten, Stellungnahmen abzugeben, noch dass ihnen jemals die Gründe für die Entscheidung mitgeteilt worden seien. Sie beriefen sich auch auf die einschlägigen Bestimmungen der maltesischen Verfassung.

20  Mit Beschluss vom 20. Oktober 2009 lehnte das Gericht einen Antrag ab, das Theaterstück dem Gericht und den Antragsgegnern hinter verschlossenen Türen vorzuführen.

21-30 Auf der Seite der Antragsteller wurden diese und vier Zeugen (ein Fachpsychiiater 25, eine Kinderpsychologin und Schauspielerin 26, ein Tourismusmanager und Schauspieler 28, ein Priester und vormaliger Filmklassifikator der Erzdiözese 27) sowie der Autor (23 und 24) gehört, wobei letzterer bezeugte (22), dass das Theaterstück ununterbrochen in allen Teilen der Welt und besonders in Europa aufgeführt wurde und zahlreiche Preise erhielt. Die Antragsteller wiesen auch darauf hin (30), dass der Text des Stücks von jedermann in Malta ungehindert erworben und gelesen werden könne.

31-37 Auf Seiten der Antragsgegner wurden die Mitglieder des Boards (33 und 24), ein Priester (32) und ein pensionierter Gerichtspräsident und Rechtsprofessor (35) einvernommen. Ein Mitglied des Boards (33) räumte ein, dass es besser gewesen wäre, das Theaterstück anzusehen, wenngleich schon das Skript in Teilen so anstössig war, dass es auf die Art der Präsentation nicht mehr angekommen war. Den Priester und den Rechtsprofessor störten die blasphemischen Wortfolgen, wobei letzterer angab (35), dass die Kombination des Wortes "F*ck" mit dem Wort "Gott" inaktzeptabel sei.

38-43  Am 28. Juni 2010 wies das Gericht im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit die Klage der Antragsteller in einem 82-seitigen Urteil ab.  Es war der Ansicht, dass das Board zu Recht zum Schluss gekommen war, dass das Stück in seiner Gesamtheit die maltesische Gesellschaft beleidigte. Das Gericht befand ferner, dass durch die übermäßige Verwendung vulgärer, obszöner und blasphemischer Sprache „Perversionen hervorgehoben, das Recht auf Leben und das Recht auf Freiheit von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung verunglimpft und der Respekt vor der Würde der Frau verunglimpft wurde“. Darüber hinaus stellte es fest, dass „eine demokratische Gesellschaft zwar tolerant sei, es aber nicht zulassen könne, dass ihre Werte im Namen der Meinungsfreiheit auf den Kopf gestellt würden“ und dass „Blasphemie eine Übertretung darstelle und eine Person nicht einfach deshalb vor Strafe gefeit sein könne, weil sie auf der Bühne spiele.“

44-53  Mit Urteil vom 29. November 2012 bestätigte das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil und verurteilte die Antragsteller zur Tragung sämtlicher Kosten (44).

Es führte aus (46), dass „die Meinungsfreiheit Grenzen hat und mit Pflichten und Verantwortung einhergeht. Sowohl die Konvention als auch die Verfassung sehen inter alia den Schutz der Moral und des Rufs und der Rechte anderer vor, und die maltesische Verfassung schließt in der entsprechenden Bestimmung auch den öffentlichen Anstand ein.“

Es hatte keinen Zweifel daran (47), dass „es Ausdrücke gab, die abfällige und unverschämte Bemerkungen gegenüber mehr als einer Religion, gegenüber Frauen und gegenüber dem Leiden der Juden im Zweiten Weltkrieg darstellten.“

48 Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere das Urteil  Otto Preminger Institut gegen Österreich (siehe Liebeskonzil) erinnerte das Gericht daran, dass diejenigen, die sich dafür entschieden haben, von der Freiheit Gebrauch zu machen, sich zu ihrer Religion zu bekennen, "die Verleugnung ihrer religiösen Überzeugungen durch andere und sogar die Verbreitung von Lehren durch andere, die ihrem Glauben feindlich gesinnt sind, tolerieren und akzeptieren müssen. Die Art und Weise, in der religiöse Überzeugungen und Doktrinen bekämpft oder verleugnet werden, ist jedoch eine Angelegenheit, die in der Verantwortung des (Mitglieds-) Staates liegt, insbesondere in dessen Verantwortung, den Inhabern dieser Überzeugungen und Doktrinen den friedlichen Genuss des durch Artikel 9 garantierten Rechts zu gewähren“.

Aus Sicht des Gerichtes (49) waren die Grenzen des Anstands aufgrund der Gotteslästerung (ein Vergehen nach maltesischem Recht) und der Verunglimpfung der Würde eines Volkes, einer Frau, von Kindern und des Menschen sowie der extremen Glorifizierung sexueller Perversion überschritten worden. Diese Umstände waren so schwerwiegend, dass sie das Stück in seiner Gesamtheit beeinflussten und jedes ursprüngliche Ziel, das mit dem Stück mutmaßlich verfolgt wurde, überwogen. Nach Ansicht des Gerichts „ist Kunst ein weit gefasster Begriff, der jede Art des Ausdrucks umfasst, doch kann er keine Sprache umfassen, die obszön ist, das Trauma eines Völkermords verachtet und an sich gegen die Gesetze des Landes verstößt. Um eine starke moralische Botschaft zu vermitteln, darf man andere Personen belästigen und verärgern, aber nicht in dem Maße, dass man sie wegen ihres Glaubens, ihres Volkes oder einfach, weil sie eine Frau oder ein Kind sind, beleidigt.“

Das Gericht stellte ferner fest (51), dass das Board nach geltendem Recht das Stück verbieten könnte, anstatt es für ein erwachsenes Publikum einzustufen und zuzulassen. In jedem Fall vertrat es die Auffassung, dass auch Erwachsene, die sich in einem solchen Fall für das Anschauen des Theaterstücks entscheiden könnten, schutzwürdig seien, so dass auch in solchen Fällen Einschränkungen erforderlich sein könnten. Es unterstrich die Pflicht des Staates, die Sensibilität des schweigenden Bürgers zu bewahren (im Gegensatz zu den lautstarken, die die Medienforen überschwemmten) und vertrat die Ansicht, dass keine Nachbesserung nach der Aufführung den bereits der Gesellschaft zugefügten Schaden heilen könne. Nach Ansicht des Gerichts war die Entscheidung des Boards daher korrekt, nicht willkürlich oder übertrieben und entsprach der Notwendigkeit, die öffentliche Moral in der maltesischen Gesellschaft und die Rechte anderer zu schützen.

VI Rechtliche Beurteilung des Höchstgerichtes

68  Unter Berufung auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Meinungsfreiheit) rügten die Beschwerdeführer, dass das Verbot der Aufführung des Stücks „Stitching“ ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt habe.

69  Die maltesische Regierung argumentierte, dass das Board im Einklang mit den damals geltenden Cinema and Stage Regulations gehandelt habe. Sie argumentierten auch, dass das Verbot des Stücks eine verhältnismäßige Maßnahme sei, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der öffentlichen Moral notwendig sei.

71  Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Gerichtshof) stellte zunächst fest, dass das Verbot einen Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung darstellte. Dann musste der Gerichtshof prüfen, ob der Eingriff die in Artikel 10(2) der Europäischen Menschenrechtskonvention (Konvention) festgelegten Anforderungen erfüllte, nämlich ob er „gesetzlich vorgesehen“ war, ein legitimes Ziel verfolgte und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war.

Gesetzlich vorgeschrieben

77. Die Wendung "gesetzlich vorgeschrieben" in Art. 10 Abs. 2 verlangt nicht nur, dass die angefochtene Maßnahme eine Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht hat, sondern verweist auch auf die Eigenschaft dieser Rechtsgrundlage, dass sie für den Betroffenen zugänglich und in seinen Wirkungen vorhersehbar sein muss (...). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Vorschrift "vorhersehbar", wenn sie hinreichend genau formuliert ist, um es jedem Einzelnen – erforderlichenfalls mit geeigneter Beratung – zu ermöglichen, sein Verhalten danach zu richten (...).

78. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss das innerstaatliche Recht, um den Erfordernissen der Zugänglichkeit und der Vorhersehbarkeit zu genügen, einen gewissen Rechtsschutz gegen willkürliche Eingriffe von Behörden in die durch die Konvention geschützten Rechte bieten. In Angelegenheiten, die die Grundrechte berühren, würde es der Rechtsstaatlichkeit, einem der in der Konvention verankerten Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft, zuwiderlaufen, wenn ein der Exekutive eingeräumtes rechtliches Ermessen in Form einer uneingeschränkten Macht zum Ausdruck käme. Folglich muss das Gesetz den Umfang eines solchen Ermessens, das den zuständigen Behörden eingeräumt ist, und die Art und Weise seiner Ausübung hinreichend klar angeben (...).

Auf den Gegenstandsfall angewendet

82  Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass sich die maltesische Regierung zwar auf die Cinema and Stage Regulations und die Richtlinien zur Filmklassifizierung gestützt hatte, jedoch nicht ausreichend erläuterte, wie oder auf welche Weise die Richtlinien der Öffentlichkeit zugänglich waren. Tatsächlich bestritt die Regierung nicht das Argument der Antragsteller, dass die Richtlinien erst im innerstaatlichen Verfahren erstmals vorgelegt wurden. Der Gerichtshof stellte ferner fest, dass die während des innerstaatlichen Verfahrens vorgelegte und später dem Gerichtshof vorgelegte Kopie der Richtlinien weder ein Datum noch Informationen zu ihrer Veröffentlichung, ihrem Umlauf oder ihren sonstigen Mitteln der Verbreitung enthielt. Daher erfüllten die Richtlinien, die die Rechtsgrundlage für das Verbot des Stücks bildeten, nicht die Anforderungen, die für das Kriterium “vom Gesetz vorgesehen“ erforderlich sind.

84  Das Gericht stellte weiter fest, dass die Cinema and Stage Regulations das Board ermächtigten, Bühnenproduktionen auf der Grundlage der vom Board herausgegebenen Richtlinien zu klassifizieren. Da die Richtlinien nicht zugänglich waren, war auch die Genauigkeit der entsprechenden Bestimmungen der Cinema and Stage Regulations fraglich. Die Richtlinien sollten die Bedeutung der Kriterien für die Klassifizierung von Bühnen- und Filmproduktionen erläutern, wie etwa das Maß an Moral, Anstand und gutes allgemeines Verhalten. In Ermangelung von Richtlinien „ließen die in Verordnung 42 (2) (a) genannten Kriterien Raum für eine uneingeschränkte Macht, da das Gesetz den Umfang des der Behörde eingeräumten Ermessens und die Art und Weise ihrer Ausübung nicht klar genug angab“.

85  Das Gericht war ferner der Ansicht, dass die Cinema and Stage Regulations die Möglichkeit eines vollständigen Verbots von Theateraufführungen nicht vorsahen (obwohl ein solches Verbot in Bezug auf Filme verhängt werden könnte). Daher war die Frage, ob ein Verbot einer Bühnenproduktion gemäß den Cinema and Stage Regulations überhaupt möglich war, weder präzise noch vorhersehbar.

86 Das Gericht stellte weiter fest, dass selbst wenn die einschlägigen Bestimmungen in Bezug auf das Verbot von Filmen auch auf Bühnenproduktionen ausgedehnt würden, das für die Überprüfung solcher Entscheidungen vorgesehene Verfahren in diesem Fall nicht eingehalten worden sei (nur eine Person überprüfte die Entscheidung zum Verbot von „Stitching“ statt der in der Bestimmung vorgeschriebenen drei Personen). Daher könne das Entscheidungsverfahren, das zu der Beeinträchtigung der Rechte der Beschwerdeführer führte, nicht als ein „gesetzlich vorgeschriebenes“ Verfahren akzeptiert werden.

Schlussfolgerung des Gerichtshofs

87-89 Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass das geltend gemachte Gesetz nicht von ausreichender Qualität war und der Eingriff das Ergebnis eines Verfahrens war, das nicht „gesetzlich vorgeschrieben“ war. Da der Eingriff im Sinne der Konvention nicht rechtmäßig war, hielt es der Gerichtshof für nicht notwendig, zu bestimmen, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war. Der Gerichtshof stellte fest, dass Artikel 10 der Konvention verletzt worden war.

Schadenersatz

96  Bei der Zuerkennung des Schadensersatzes stellte das Gericht fest, dass die Beschwerdeführer trotz der rechtlichen Unklarheit, ob ein vollständiges Verbot möglich sein könnte, eine Entscheidung über die spezifische Einstufung des Stücks abwarten hätten sollen, bevor sie sich an Theaterbuchungen, Werbematerial und Anzeigen durchführten. Das Gericht konnte daher keinen Kausalzusammenhang zwischen dem festgestellten Verstoß und dem geltend gemachten finanziellen Schaden erkennen. Daher wies es diesen Teil der Klage ab. Andererseits sprach das Gericht den Beschwerdeführern nach billigem Ermessen 10.000 EUR als immateriellen Schaden zu.

VII Kommentar

9 Jahre nach Haydon's  Hoffnung im Guardian (siehe I) berichtet Owen Bowcott am 15.05.2018 im Guardian unter dem Titel

European court overturns Malta ban on Auschwitz play - ECHR awards theatre company €20,000, ruling Stitching by Anthony Neilson wrongly banned - Europäisches Gericht hebt Verbot des Auschwitz-Stücks auf - EGMR spricht dem Theater € 20.000 zu und urteilt, dass Stitching von Anthony Neilson zu Unrecht verboten war

über das aufhebende Urteil des EGMR und zitiert sowohl den Theaterproduzenten Adrian Buckle, dass Gerechtigkeit gesiegt hat und das Stück nun auf der Insel gezeigt werde als auch Malta's Justiz- und Kulturminister Owen Bonnici, dass die Entscheidung des EGMR, die das Stitching-Verbot aufhob, begrüßt werde und wir damals strikt gegen die Entscheidung waren und als wir an der Regierung waren trotz der Kritik der Opposition die bestehenden Gesetze radikal reformierten, um die künstlerische Freiheit zu erhöhen.

VIII Favorartis Kommentar

Laut EGMR waren die vom Board angewendeten und  den maltesischen Gerichten im Verfahren erstmals vorgelegten Cinema and Stage Regulations aus mehrfachen Gründen so mangelhaft, dass sie nicht die Anforderungen erfüllten, die für das Kriterium “vom Gesetz vorgesehen“ erforderlich sind (siehe 82). Es erstaunt überdies, dass es für ein Urteil über das Verbot eines Theterstücks ausreichte, wenn nur das Skript gelesen wird und (sowohl von einigen Mitgliedern des Boards als auch vom innerstaatlichen Gericht) auf das Anschauen der Aufführung verzichtet wird.

Favor artis  für das Theater Unifaun, aber erst durch die Entscheidung des EGMR nach fast zehnjährigem Aufführsverbot.

IX Hinweise zu dieser Webseite

  1. Im gegenständlichen Fall hat der EGMR grmäß Art 44 Abs 3 EMRK die endgültige Entscheidung zur Aufnahme in die Datenbank HUDOC zur Verfügung gestellt, wo sie (bei Eingabe des Case Title oder der Application Number) zB als Dokument in englischer Sprache abgerufen werden kann..
  2. Der hier zur Verfügung gestellte Text folgt der englischsprachigen Fassung aus der Datenbank HUDOC, da Reproduktionen (und damit auch Übersetzungen) zu Informations- und Bildungszwecken erstellt werden können.
  3. Die in den Abschnitten III bis VI vor Beginn von Absätzen (nicht durchgängig) eingefügten Zahlen 5 bis 96 entsprechen den Randnummern im Urteilstext des EGMR.
  4. Die angeführten Zitate aus den englischsprachigen Wkipediaeinträgen (zum Stück und zum Autor), aus dem Deutschen Theaterverlag, aus dem Theater im OP in Göttingen und aus dem Guardian (mit Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.
  5. Personenbezogene Daten ergeben sich aus den Beschreibungen einzelner Aufführungen sowie aus dem Bekanntheitsgrad des Autors.

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