I Kunstwerk
Der Zeitstrahl zur Geschichte der Salzburger Festspiele auf deren Webseite beschreibt die Ära Gerard Mortier unter dem Titel Das Neue Salzburg wie folgt (Zitat):
Die Stagnation zu überwinden, die vor allem in den letzten Jahren der Ära Karajan spürbar wurde, setzte sich Gerard Mortier zur Aufgabe. „Das neue Salzburg“, das er proklamierte, verfolgte eine Politik der Öffnung: hin zu einem breiteren und nicht zuletzt moderneren Repertoire, zu unverbrauchten, mitunter auch provokanten ästhetischen Sichtweisen, zu anderen und jüngeren Publikumsschichten.
Die letzte der 12 Eintragungen dieser Ära führt in das Jahr 2001 und lautet:
Hans Neuenfels’ radikale Inszenierung und Umdichtung der Fledermaus, mit der sich Gerard Mortier aus Salzburg verabschiedet, sorgt für einen letzten „Skandal“, der noch einmal leidenschaftlichen Widerspruch entfacht. Und auch das Schauspiel bricht Tabus: mit dem Regisseur Calixto Bieto, der Shakespeares Macbeth als „wilde Party mit Mordexzessen“ (Süddeutsche Zeitung) zelebriert, Nekrophilie inklusive.
Hans Neuenfels (* 31. Mai 1941 in Krefeld † 6. Februar 2022 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller, Dichter, Filmemacher, Librettist, Theaterregisseur, Theaterintendant und Opernregisseur. Skandale oder zumindest größeres Aufsehen produzierten Le prophète (Giacomo Meyerbeer) an der Wiener Staatsoper, seine Nabucco-Interpretation an der Deutschen Oper Berlin, sowie im Sommer 2001 Die Fledermaus von Johann Strauss bei den Salzburger Festspielen. Mehr Informationen zu Hans Neuenfels in Wikipedia.
Die Skandalträchtigkeit ist daher von zwei Seiten belegt und hatte – was in beiden Quellen unerwähnt blieb – ein gerichtliches Nachspiel, das in der Juristenwelt rege diskutiert wurde.
Musik und Inhalt waren laut Bammer in Die Grundrechte in der Rechtsprechung der Zivilgerichte (in: ÖJK [Hrsg], Aktuelle Fragen des Grundrechtsschutzes, Band 26 [2005], 63 ff). teils erheblich verändert (Zitat):
Johann Strauß wurde mit Arnold Schönberg und Jazz versetzt, Eisenstein trat als Reichsmarschall Göring auf, Frank als Mussolini und Orlofsky als drogensüchtiger Rapper.
II Schlagworte
Privatrecht – Vertragsrecht – Freiheit der Kunst – Musik - Operette - Internet - Werkvertrag - Massenvertrag - Irrtum - Gewährleistung - Neuinszenierung - Rückersatz des Eintrittsgeldes
III Parteien
Der Kläger ist Festspielgast. Der Beklagte ist der Salzburger Festspielfonds gemäß BG BGBl 1950/147.
IV Sachverhalt
Zitat aus Seiten 3ff des Urteiles
Ein Festspielgast kaufte zwei Karten für den Premierenabend der Operette Die Fledermaus am 17.08.2001 für sich und seine Lebensgefährtin, wobei die Bestellung etwa vierzehn Tage vor der Premiere vorgenommen wurde. Die für getrennte Sitzplätze erworbenen Karten kosteten ATS 3.250,00 und ATS 3.900,00. Er und seine Lebensgefährtin haben nach der Pause die Aufführung verlassen.
Im Kurzprogramm der Salzburger Festspiele, das Grundlage für Bestellungen war und Monate vor Beginn der Festspiele herauskam, war für das Jahr 2001 der Regisseur Hans Neuenfels mit folgendem Statement zitiert:
Die Fledermaus ist nicht nur ein scharfes, witziges Porträt der Heuchelei, verborgener, unterdrückter Sehnsüchte, Überlebensekel und Lebensgier, sondern auch eine äußerst raffinierte und nicht minder vitale Unterhaltung über Musik, Sänger und vor allem über den Walzer. Der Walzer als Lebensform eines Landes und eines Zeitalters, Tanz am Abgrund, rauschend und kläglich zugleich, geschaffen von einem Komponisten, der die Widersprüche seiner eigenen Person mit Visionen und vollendetem Können auf die Szene und in die Konzertsäle schleuderte: Elegant geschliffene Pflastersteine, aber Steine! Und Kiesel, viele, viele Kiesel, über die oftmals die muntersten Bäche rieseln und die manchmals derartig ins Auge gehen, dass es erschreckend sehend wird. Der musikalische Geniestreich eines scheinbar wohlerzogenen Provokateurs.
In Interviews in News, Profil, Format und Standard vor oder am Tage der Premiere hat Neuenfels zu seinen Absichten und Überlegungen detailliert Stellung genommen. Auch nach der Premiere haben der Intendant der Salzburger Festspiele, Dr. Gerard Mortier und Hans Neuenfels zu der Inszenierung Stellung genommen und den Wunsch nach Polarisierung als legitimes Mittel der Kunst betont, um Reaktionen herauszufordern. Die Reaktionen auf die Inszenierung waren teilweise massiv negativ, teilweise wurden die Überlegungen des Regisseurs aber auch anerkannt. Nach der Aufführung gab es teilweise vernichtende Kritiken in verschiedenen Zeitungen und auch durch Marcel Prawy.
Als der Festspielgast die Tickets gekauft hat, gab es das offizielle Programm, das Kurzprogramm und die Homepage im Internet. Die Ankündigungen erfolgten in diesen drei Medien als Neuinszenierung unter der Regie von Hans Neuenfels. Erst am Premierenabend fand sich im Abendprogramm die Mitteilung, dass es sich um eine Bearbeitung von Hans Neuenfels handle.
Zum Inhalt einer "herkömmlichen" Aufführung einer "Fledermaus" verwies das Erstgericht auf den Inhalt des Videobandes Beilage . /N sowie zum tatsächlichen Inhalt der Aufführung auf das nach der Premiere aufgezeichnete Video Beilage . /21, das inhaltlich im Wesentlichen ident mit dem Premierenabend ist.
V Gang des Verfahrens
Zitat aus Seiten 2f des Urteiles:
Standpunkt des Klägers: Der Kläger begehrt von der beklagten Partei den Rückersatz des Entgeltes für zwei Eintrittskarten für die Premierenaufführung der Operette "Die Fledermaus" am 17.08.2001 im Rahmen der Salzburger Festspiele. Die beklagte Partei habe in der vorangehenden Bewerbung dieser Aufführung nicht klargestellt, dass die Neuinszenierung von Hans Neuenfels nichts mehr mit der berühmten österreichischen Operette von Johann Strauß zu tun habe. Von Hans Neuenfels sei eine so weit gehende Bearbeitung vorgenommen worden, dass von der Lieferung eines aliud gesprochen werden müsse.
Der wesentliche Grundtenor dieser genialen, heiteren und lebensbejahenden Operette sei bei dieser Aufführung zu einem abstoßenden, tendenziell und in den entscheidenden Szenen auch politisch extrem herabsetzenden Trauerspiel gemacht worden. Das ursprüngliche Libretto sei in seiner Tendenz, in seinem Inhalt und im Text, verbunden mit gezeigten Handlungsabläufen und ballettähnlichen Beiträgen von Statisten und Tänzern, bei der Darstellung der Personencharaktere völlig verfremdet worden. Der Kläger sei beim Kartenkauf über diese Umstände in Irrtum geführt worden. Der Anspruch auf Rückersatz des Eintrittsgeldes werde aber auch auf den nach der Aufführung erklärten Rücktritt vom Vertrag gemäß § 918 ABGB gestützt sowie auf den Titel der Gewährleistung.
Standpunkt des Beklagten: Die beklagte Partei wendete ein, bei der Aufführung habe es sich um kein aliud gehandelt, sondern um eine im Rahmen der Freiheit der Kunst zulässige Interpretation der Operette durch Hans Neuenfels als kritischer Regisseur. Es sei zulässig gewesen, die Operette Fledermaus nicht nur als Ausdruck der Walzerseligkeit zu sehen, sondern kritisch zu hinterfragen. Im bei der Aufführung aufgelegten Programmheft sei dann auch die Rede von einer Bearbeitung von Hans Neuenfels gewesen, nachdem erst auf Grund der Proben für die Verantwortlichen der beklagten Partei erkennbar geworden sei, dass Neuenfels doch stärkere Eingriffe in den Text vorgenommen habe. Ein Anspruch auf Rückersatz des Kartenpreises bestehe nicht, zumal der Kläger schon aus dem Text der Kurzinfo, dem Text des Hans Neuenfels im Kurzprogramm der Salzburger Festspiele 2001 sowie aus den Medien bereits vor der Premiere hätte wissen können, dass es sich bei der Neuinszenierung nicht um eine angepasste, sondern um eine provokative handeln werde. Wenn der Kläger dennoch seine Karten nicht zurückgegeben, sondern die Aufführung besucht habe, so habe er danach keinen Anspruch auf Rückersatz des Karten - preises.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger erhob dagegen Berufung.
VI Rechtliche Beurteilung des Landesgerichtes Salzburg als letzte Instanz
Zitat aus Seiten 9ff des Urteiles:
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Nach Lehre und Rsp handelt es sich beim Vertrag über den Besuch einer bestimmten Theatervorstellung, Kinovorstellung, Konzertaufführung udgl gegen Entgelt um einen Werkvertrag mit bestandrechtlichen Elementen (vgl Krejci in Rummel, ABGB, 3. Auflage, Rz 62 zu §§ 1165 f; Adler-Höller in Klang, Komm V 376, GlUNF 3820 und 6785). Der vom Veranstalter mit dem Besucher abgeschlossene Vertrag weicht jedoch vom gewöhnlichen Werkvertrag erheblich ab, denn die Aufführung wird im Rahmen eines Massenvertrages für das Publikum veranstaltet, nicht jedoch für den Einzelnen. Der einzelne Besucher erwirbt bei Erwerb der Karte für einen bestimmten Sitzplatz in einer Preiskategorie lediglich das Recht, der Aufführung beizuwohnen, die er aber nicht erzwingen kann (eingehend Ehrenzweig, System II/1, 2. Auflage, 518 f). Unterbleibt die Aufführung, so hat der Besucher lediglich einen Anspruch auf Rückzahlung des Eintrittsgeldes (Ehrenzweig aaO), wobei es im Allgemeinen zur Vertragsauflösung auf Grund des anzunehmenden Fixgeschäftes (§ 919 ABGB) auch keiner Rücktrittserklärung bedarf, vielmehr fällt das Geschäft automatisch weg. Vom Veranstalter muss stets das angekündigte Stück gespielt werden, wobei aber auch einschneidende Änderungen der angekündigten Besetzung zu einem Anspruch des Besuchers auf Rückerstattung des Eintrittsgeldes führen können (Ehrenzweig aaO; ebenso Riedel in Staudinger, Komm, 11. Auflage, Rz 12 vor § 611 BGB).
Lehre und Rsp haben sich bislang nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob und unter welchen Voraussetzungen inhaltliche Änderungen eines Stückes der Musikliteratur zu einem Anspruch des Besuchers auf Rückersatz des Eintrittsgeldes führen können. Die von der beklagten Partei in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte Freiheit der Kunst, die durch Art 17a StGG verfassungsrechtlich als Grundrecht geschützt wird, kann bei der Beurteilung des Inhalts eines Vertrages und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen zwischen dem Veranstalter einer Theater- oder Operettenaufführung nicht als alleiniger Maßstab herangezogen werden. Dem Künstler und damit auch der beklagten Partei als Veranstalter kommt bei einer Aufführung eines Werkes der Musikliteratur im Rahmen dieses Grundrechtes zwar ein sehr weit gehender Freiheitsraum zu, der jedoch durch den jeder Rechtsordnung innewohnenden Grundsatz der Vertragstreue begrenzt wird. Wird Kunst dem Besucher gegen Entgelt geboten, so gelten auch für den Veranstalter die das Vertragsverhältnis regelnden bürgerlich-rechtlichen Normen. Bei der Beurteilung des nach der Verkehrsauffassung geschuldeten Werkes und dem Ausmaß von Aufklärungspflichten darf aber selbst bei reproduzierender Kunst an den Veranstalter kein übertriebener Maßstab angelegt werden, um die Freiheit der Kunst nicht durch drohende vertragliche Regressansprüche zu weit einzuschränken (zur Interessenabwägung gegenüber Privatrechten vgl allgemein SZ 61/210).
Der vom Kläger vertretenen Auffassung, die beklagte Partei habe nicht die Operette Die Fledermaus zur Aufführung gebracht, sondern ein von diesem Stück abweichendes aliud, kann nicht gefolgt werden. Geht man von den Behauptungen des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren über die von Hans Neuenfels als Regisseur vorgenommenen Änderungen aus, so blieben jedenfalls die Musik von Johann Strauß und der Text des Librettos von Carl Haffner und Richard Genee in den Arien (Liedern) und Ensembles nahezu unverändert erhalten. Die durch Bearbeitung teilweise geänderten bzw erweiterten Sprechszenen und Handlungsabläufe vermögen keineswegs zu einem gänzlich anderen Stück zu führen. Dies gilt auch für die erweiterte und mit einer Frau besetzte Rolle des Frosch und der durch übersteigerte Charakterzeichnung hervorgehobenen Figur des Prinzen Orlofsky, mag die Besetzung mit einem Mann und dessen Ausgestaltung der Gesangspartien mit einer zwischen Falsett und Bass wechselnden Stimme gegenüber der vorgeschriebenen Besetzung mit einer Frau als Mezzosopran vom Herkömmlichen doch abweichen. Die beklagte Partei hat zwar selbst zugestanden, dass die vom Kläger genannte Beschreibung von Willhelm Zentner, dass sich Libretto und Musik der Fledermaus um das alles beherrschende Lebensgefühl der Daseinsfreude rankt, das dem Heiterkeitsverlangen der Menschen Rechnung trägt, eine überwiegende Interpretation dieses Stückes ist, wobei aber nicht übersehen werden darf, dass dem Libretto ein starker gesellschaftskritischer Geist inne wohnt und wohl nur die geniale Musik von Johann Strauß und eine vordergründige Heiterkeit das Werk seinerzeit vor der Zensur bewahrt haben. Im Verein mit dem Bühnenbild und den Kostümen mag zwar die Fledermaus unter der Regie von Hans Neuenfels dem Klischee der Wiener Operette durch ein eher düsteres Stimmungsbild nicht mehr entsprechen, doch vermag diese Interpretation noch nicht dazu zu führen, dass von einem gänzlich anderen Stück gesprochen werden könnte, wobei sich das Berufungsgericht durch Ansicht der von der beklagten Partei vorgelegten Videokassette auch einen über mögliche und vom Berufungswerber vermisste Feststellungen hinausgehenden Eindruck verschaffen konnte.
Damit ist aber zu prüfen, ob bereits dieses Abweichen von einer traditionellen Aufführung der Fledermaus einen Anspruch auf Rückzahlung des Eintrittsgeldes wegen (listiger) Irreführung, Nichterfüllung eines Vertrages oder durch Wandlung wegen eines wesentlichen Mangels im Rahmen der Gewährleistung geben kann. Wird eine Operette nicht in einer dieser Musikart als heiterem musikalischen Bühnenwerk entsprechenden Weise zur Aufführung gebracht, so darf sich das Publikum auch vom Veranstalter von Festspielen mit hohen künstlerischen und das Moderne nicht ausgrenzenden Ambitionen ausreichende Informationen über die Art der Inszenierung erwarten. Allein aus der Bezeichnung einer Aufführung als Neuinszenierung kann noch nicht auf die künstlerische Umsetzung eines Werkes geschlossen werden, vielmehr wird damit nur zum Ausdruck gebracht, es handle sich um keine Reprise einer früheren Aufführung. Selbst der im Abendprogramm erstmals enthaltene Hinweis auf eine Bearbeitung durch den Regisseur lässt deren Richtung im Allgemeinen nur dann erahnen, wenn dessen Name für einen bestimmten Aufführungsstil spricht und dieser Umstand dem Besucher auch geläufig ist.
Der von der beklagten Partei gewählte Weg, im Festspielprogramm (Beilage . /A), dem Kurzprogramm (Beilage . /20) und der eingerichteten Homepage (Ausdruck Beilage . /L) dem Regisseur Hans Neuenfels Gelegenheit zu geben, sein Verständnis und seine Sicht der Fledermaus im Rahmen einer Kurzinfo darzulegen, muss aber als ausreichende Information des Publikums angesehen werden. Für den Kläger waren nach seinem Vorbringen die aus dem Programm der Salzburger Festspiele sowie der Homepage hervorgehenden Informationen Grundlage des Kartenkaufes, womit ihm aber auch die Sichtweise des Regisseurs und die Stilrichtung der Neuinszenierung nicht verborgen geblieben sein konnte. Nimmt ein Veranstalter von Festspielen die Fledermaus in den Spielplan auf, so wird sich bei einer beabsichtigten traditionellen Aufführung in der Vorinformation wohl kaum eine Beschreibung durch den Regisseur finden, in der von einem Porträt der Heuchelei, von Lebensekel und einem Tanz am Abgrund die Rede ist und von elegant geschliffenen Pflastersteinen und von Kieseln, die manchmal derart ins Auge gehen, dass es erschrocken sehend wird. Mit seinem Statement hat Hans Neuenfels eine vom Klischee dieser Musikgattung abweichende Aufführung geradezu angekündigt.
Von einer Irreführung durch die beklagte Partei durch Unterlassung der gebotenen Aufklärung kann daher nicht gesprochen werden, sodass eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 871 ABGB nicht in Betracht kommt. Die Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten, die sich stets am Verkehrsüblichen orientieren müssen (vgl Rummel in Rummel, 3. Auflage, Rz 15 zu § 871; 3 Ob 522/89; SZ 68/76), dürfen gerade bei einem Veranstalter von Festspielen auch nicht überspannt werden.
Wenn der Kläger sein Begehren erstmals in der Berufung auf einen aus § 2 UWG abzuleitenden Verbraucherschutz und einen bei Wettbewerbsverstößen auch dem Verbraucher zustehenden Schadenersatzanspruch stützen will, so verstößt er gegen das im Berufungsverfahren nach § 482 Abs 1 ZPO geltende Neuerungsverbot. Der Kläger hat sein Begehren zwar auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt, aber kein Vorbringen über einen ihm durch einen Wettbewerbsverstoß der beklagten Partei entstandenen Schaden und das Bestehen eines bestimmten Wettbewerbsverhältnisses der beklagten Partei zu bestimmten anderen Veranstaltungen von Sommerfestspielen erstattet. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die in der Berufung angeführte oberstgerichtliche Entscheidung über einen direkten Schadenersatzanspruch des Verbrauchers bei Verstößen eines Unternehmers gegen § 2 UWG (SZ 71/36 = wbl 1998, 228), die den Ersatz von Vertrauensschäden betrifft, auch auf Regressansprüche gegen einen Veranstalter von Festspielen angewandt werden kann. Das Ausmaß der Aufklärungspflicht des Veranstalters wurde bereits dargelegt, wobei sich auch bei einer vergleichenden Betrachtung der sich aus § 2 UWG im Wettbewerb ergebenden Anforderungen kein strengerer Maßstab für eine Vertragsanfechtung wegen Irrtums gewinnen lässt. Wollte man auf die bloß flüchtige Betrachtungsweise durch einen Kunden mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit abstellen (vgl ÖBl 1997, 20), so wäre für einen Veranstalter ein ausreichender Hinweis im Rahmen der üblichen Gestaltung von Programmen und dgl wohl kaum mehr möglich.
Mangels Verletzung einer Aufklärungspflicht scheidet aber auch eine arglistige Irreführung nach § 870 ABGB aus. Das ErstG hat in diesem Zusammenhang überdies in den als Feststellungen zu wertenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dargelegt, dass für die beklagten Partei das genaue Ausmaß der Änderungen durch Hans Neuenfels erst auf Grund der Proben erkennbar wurde, weshalb dann im Abendprogramm auch ein Hinweis auf die Bearbeitung durch Neuenfels aufgenommen wurde. Damit scheidet eine arglistige Irreführung durch die beklagten Partei aus, denn unter der in § 870 ABGB genannten List ist nur die vorsätzliche Täuschung zu verstehen (vgl Rummel, aaO Rz 2 zu § 870). Mit den Ausführungen in der Berufung, wonach die beklagte Partei den Hinweis auf eine Bearbeitung aus anderen Motiven unterlassen habe, geht der Kläger von diesem vom ErstG als erwiesen angenommenen Sachverhalt ab, sodass die Berufung im Hinblick auf die Beschränkung der Anfechtungsgründe nach § 501 Abs 1 ZPO in diesem Punkte nicht mehr dem Gesetze gemäß ausgeführt ist.
War aber schon auf Grund des Festspielprogrammes und der Einschaltung der beklagten Partei in ihrer Homepage erkennbar, dass die Fledermaus nicht in der traditionellen Fassung dieser Operette gespielt werden würde, so scheidet auch ein Ersatzanspruch wegen mangelnder Erfüllung (§ 918 ABGB), dies gilt auch für einen daraus abgeleiteten vertraglichen Schadenersatzanspruch und damit im Zusammenhang stehend eine Haftung der beklagten Partei für Erfüllungshilfen, und ebenso ein Gewährleistungsanspruch aus. Im Rahmen der Gewährleistung kommt es gleichfalls darauf an, dass ein Werk die ausdrücklich bedungenen oder gewöhnlich dabei vorausgesetzten Eigenschaften nicht hat (§ 922 ABGB iVm § 1167 ABGB). Beim Vertrag über den Besuch einer künstlerischen Aufführung besteht auch im Lichte des § 6 Abs 2 Z 3 KSchG (zur Anwendung dieses Gesetzes auch auf die Erbringung kultureller Leistungen durch Unternehmer vgl Krejci in Rummel II/4, 3. Auflage, Rz 17 zu § 1 KSchG) kein Anlass, von einem unzulässig weiten Gestaltungsfreiraum der beklagten Partei bei der Leistungserbringung auszugehen.
Damit ist aber der Rechtsauffassung des Erstgerichtes beizutreten, dass dem Kläger im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Ersatz des Preises der beiden Karten für die Premiere der Fledermaus zusteht, weshalb der Berufung ein Erfolg versagt bleiben musste.
VII Kommentare
Kommentare der Lehre
Die Entscheidung wird in der Lehre teilweise sehr kontroversiell diskutiert, wie zwei Beispiele zeigen:
Bammer vertritt in Die Grundrechte in der Rechtsprechung der Zivilgerichte (in: ÖJK [Hrsg], Aktuelle Fragen des Grundrechtsschutzes, Band 26 [2005], 63 ff). die Ansicht, dass(Zitat)
das Landesgericht Salzburg als Berufungsinstanz völlig zu Recht die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts bestätigte (mit Verweis auf: zustimmend auch M. Walter, Entscheidungsbesprechung, MR 2003, 394; kritisch Czedik-Eysenberg, Das „Fledermaus“- Urteil und die Freiheit der Kunst, Gewinn 5/2004, 210; ablehnend Pfersmann/Schönherr, JBl 2003, 595), wobei es methodisch In seiner Begründung ganz unbefangen und ohne es offen zu legen von einer absoluten Drittwirkung der Grundrechte ausgeht, wenn es ausspricht, dass
- dem Künstler und damit auch der beklagten Partei als Veranstalter bei einer Aufführung eines Werkes der Musikliteratur im Rahmen des Grundrechts der Freiheit der Kunst zwar ein sehr weitgehender Freiheitsraum zukommt, der jedoch durch den jeder Rechtsordnung innewohnenden Grundsatz der Vertragstreue begrenzt wird und …
- bei der Beurteilung des nach der Verkehrsauffassung geschuldeten Werkes und dem Ausmaß von Aufklärungspflichten aber selbst bei reproduzierender Kunst an den Veranstalter kein übertriebener Maßstab angelegt werden darf, um die Freiheit der Kunst nicht durch drohende vertragliche Regressansprüche zu weit einzuschränken.
Hollaender vermeint In Betrug durch "Die Fledermaus"? Das Strafrecht im Spannungsverhältnis zur Freiheit der Kunst in ÖJZ 2004/50.dagegen, dass (Zitat)
eine extrem verfremdete Aufführung der Operette "Die Fledermaus" bei den Salzburger Festspielen nicht nur bei Teilen des Publikums und der Medien die Bezeichnung als "Skandal" hervorgerufen hat, sondern auch unter Kunstexperten gleichermaßen wie unter Rechtsgelehrten eingehende grundsätzliche Diskussionen ausgelöst hat und wirft sogar die Kernfrage auf, ob solche Produktionen einen "Betrug am Publikum" darstellen können ?
Er kommt bei dieser strafrechtlichen Betrachtung (ua durch Vergleiche mit den Weinpanscher-Fällen oder dem Verkauf einer Fälschung der Mona Lisa) zum Resultat, dass
bei Theaterproduktionen durch die Ankündigung eines bestimmten allgemein bekannten Werks einerseits und die (dieser Ankündigung nicht entsprechende) Darbietung eines "aliud" andererseits das Betrugstatbild auf einfachgesetzlicher Betrachtungsebene grundsätzlich erfüllt sein kann
und dass überdies
auch das Grundrecht der Kunstfreiheit für den die unrichtige Ankündigung vornehmenden Kulturveranstalter keinen Dispens bewirkt.
Favorartis Kommentar
Es ist mE Bammer und Walter zuzustimmen, dass die Entscheidung des Landesgerichtes Salzburg richtig ist. Würden sich im Gegenstandsfall Verantwortliche des Veranstalters vor dem Strafgericht verteidigen müssen, so wäre neben dem favor defensionis (siehe Home) auch die Kunstfreiheit (auch die Vermittlung ist frei) im Sinne eines favor artis zu prüfen. Beachtlich ist wohl, dass das Internet im Jahr 2001 als Informationsmedium bereits sehr gebräuchlich war, sodass es nachvollziehbar ist, dass der Festspielgast, für den die aus der Homepage hervorgehenden Informationen Grundlage des Kartenkaufes waren, nicht getäuscht sein konnte, wenn Hans Neuenfels mit seinem auf dieser Homepage veröffentlichten Statement eine vom Klischee dieser Musikgattung abweichende Aufführung geradezu angekündigt hat. ⇒ Favor artis für die beklagte Partei !
VIII Hinweise zu dieser Webseite
- Die Entscheidung Fledermaus des LG Salzburg ist nicht im RIS enthalten, jedoch aufgrund ihres Inhaltes für den Themenbereich Recht der Kunst dieser Website von herausragender Bedeutung, was allein schon aus dem dargestellten Widerhall in der Lehre deutlich wird.
- Eine anonymisierte Ausfertigung des Urteiles des LG Salzburg wurde dem Websitebetreiber im Februar 2022 über Anforderung von der Justiz zugestellt.
- Dieser Urteilstext wird gemäß § 7 des UrhG als gemeinfrei angesehen und auszugsweise in die Webseite übernommen.
- Die Zitate aus Wikipedia (zu Hans Neuenfels), aus der Website der Salzburger Festspiele und aus den Beiträgen von Bammer und Hollaender (mit Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.