I Kunstwerke
Erich Ruprecht (* 7. Mai 1931 in Geisttal, Steiermark) ist ein österreichischer Bildhauer und Maler. 1957 gründeten Josef Fischnaller, Engelbert Kliemstein, Otto Bejvl und Erich Ruprecht die Künstlergruppe Schableder. Nach den Tagebuchaufzeichnungen Kliemsteins zu schließen, war Ruprecht die treibende Kraft in dieser Gruppe. Er verließ diesen Zusammenschluss auch bereits 1958 und zog sich in die Steiermark zurück. Als Quasi-Eremit bewohnte er eine Hütte in der Nähe seines Geburtsortes, malte über 100 Ölbilder und fertigte zahlreiche Skizzen und Aquarelle an. Während dieser Zeit war er mit Kliemstein in Verbindung, der inzwischen die erste private Galerie in Linz nach 1945 gegründet hatte. ... Josef Fischnaller hatte neben dem ehemaligen Café Derfflinger (Linz, Nähe Landstraße) eine Ausstellungsmöglichkeit in einem zum Abriss bestimmten Haus gefunden.
Dort wurden im April 1960 über hundert Bilder des „derzeit völlig unbekannten Malers“ Erich Ruprecht ausgestellt. Bereits vor der Vernissage am 7. April 1960 ging ein anonymer Hinweis bei der Linzer Polizeidirektion ein, in dieser Ausstellung seien unzüchtige Bilder zu sehen.
Bereits am nächsten Tag wurde der Staatsanwalt tätig und besuchte die Ausstellung gemeinsam mit einem Journalrichter und dem Linzer Polizeipräsidenten. Diese Kommission kam überein, 11 (siehe FN 1) Bilder aus der Ausstellung entfernen zu lassen. Die Bilder wurden umgehend entfernt und in polizeilichen Gewahrsam genommen.
Siehe mehr dazu in Wikipedia.
FN 1: Anmerkung des Websitebetreibers:: Es dürfte sich um 12 Bilder gehandelt haben, da diese im weiteren Verlauf verfahrensgegenständlich waren. Da ein Bild davon ("Verschneite Orangenernte") vor Beschlagnahme und Erklärung des Verfalls verkauft wurde, wurden letztlich 11 Bilder für verfallen erklärt, obwohl 12 Bilder beschlagnahmt wurden.
Gegen den Galeristen Engelbert Kliemstein und den Maler Erich Ruprecht wurde Anklage wegen Vergehen und Verbrechen nach dem Pornografiegesetz erhoben.
Die Verfahren gegen den Künstler werden in den Abschnitten II bis VI geschildert, bevor im Abschnitt VII auf das Schicksal der für verfallen erklärten 11 Bilder eingegangen wird
II Schlagworte
Strafrecht - Pornografie - Bildkunst - Beschlagnahme - Verfall - mangelhafte Verwahrung - Rückerstattung
Bei Beurteilung der Frage, ob ein Werk unzüchtig sei, ist nicht entscheidend, welchen Zweck der Verfasser verfolgte, mag dies auch ein wissenschaftlicher, künstlerischer oder belehrender, also ein erlaubter Zweck sein; entscheidend ist/sind vielmehr 1) der objektive Inhalt des Werkes, 2) die Aufmachung (Ausstattung) des Werkes, 3) die näheren Umstände seiner Verbreitung und 4) der daraus, also aus dem Werk selbst und seiner Verbreitungsart, erkennbare Zweck. (Nicht mehr aktuelle, ältere Judikatur des Gegenstandsfalles bis 1975).
III Parteien
Öffentlicher Ankläger (Staatsanwaltschaft Linz) gegen die freischaffenden Künstler E**** K**** und E**** R****.
IV Gang des Verfahrens bis zur Entscheidung des OGH vom 16.01.1962
Die Schilderungen zum Verfahrensgang erfolgen aus den vor der Vernichtung bewahrten und im Archiv der Stadt Wien öffentlich einsehbaren Akten. Die Ordnungsnummern der Aktenstücke sind jeweils angegeben.
Weitaus umfangreichere Angaben zu diesem Fall (über den Inhalt des Strafaktes hinaus) erfolgen in der Publikation Der Fall Ruprecht: Dokumentation. Hrsg. Alfred Weidinger, OÖ. Landeskultur GmbH, 2021, ISBN 978-3-85474365-1. So enthält diese Publikation auf den Seiten 80ff Abbildungen der 12 Bilder "Wartende Danae", "Der gute Unstern", "Verschneite Orangenernte", "Dornröschen", "Die Nike vom oberen Stock", "Das Rotkäppchen", "Triptychon der drei modernen Märtyrerinnen", "Die Amputierte", "Mondnacht", "Die Amazonasschlacht", "Zwei Frauen" und "Das Spiel mit der goldenen Kugel".
Ich bedanke mich bei Paul Fischnaller dafür, dass er mich auf den Fall "Ruprecht" hingewiesen hat und die Genehmigung für die Veröffentlichung des hier zur Verfügung gestellten Bildmaterials erteilt hat. Bei Erich Ruprecht bedanke ich mich für die Zustimmung, die übermittelten Aktenstücke im nachstehend angeführten Umfang bearbeiten und auf dieser Webseite zur Verfügung stellen zu können.
Anklage (ON 16):
Mit Anklage vom 31.12.1960 wird behauptet,
I E**** K**** und E**** R**** hätten im April 1960 in Linz in gemeinsamem und von der gleichen Absicht geleiteten Zusammenwirken
- in gewinnsüchtiger Absicht unzüchtige Abbildungen, nämlich 12 Ölbilder mit besonderer Hervorhebung des weiblichen Geschlechtsteiles öffentlich ausgestellt und angeboten;
- wissentlich Abbildungen, die geeignet sind, die sittliche Entwicklung jugendlicher Personen durch Reizung der Lüsternheit oder Irreleitung des Geschlechtstriebes zu gefährden und zwar durch die zu 1 angeführten Ölbilder auf eine Art dargestellt, dass dadurch der anstössige Inhalt auch einem größeren Kreis von Personen unter 16 Jahren zugänglich wurde
II E**** R**** hätte im Jahre 1959 in Geisttal in gewinnsüchtiger Absicht unzüchtige Abbildungen, nämlich die unter I 1 angeführten Ölbilder hergestellt.
Sie hätten dadurch die Verbrechen/Vergehen nach §§ 1 Abs 1 lit c und 2 Abs 1 lit b und E**** R**** nach § 1 Abs 1 lit a des Pornografiegesetzes vom 31.3.1950, BGBl Nr 97 begangen.
Hauptverhandlung (ON 19):
In der Hauptverhandlung am 10.04.1961 des Landesgerichtes Linz (als Jugenschöffengericht) waren die (zwölf) sichergestellten Bilder im Gerichtsaal zur Besichtigung seitens des Gerichtshofes und zur Begutachtung aufgestellt. Der Angeklagte E**** R**** wurde zu allen 12 Bildern befragt und gab danach zu allen Bildern an:
Ich würde kein Bild unter S 1.000,00 verkaufen. Man bestimmt den Preis nach dem Käufer. Die Bilder sollen einen Menschen in einer bestimmten Lage darstellen, das Gesicht ist dabei unwesentlich, deshalb ist es auf den meisten Bildern verdeckt. Ich habe kein Modell dafür verwendet.
Urteil des Landesgerichtes Linz (ON 20):
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10.04.1961, 24 Vr 679/60 wurden E**** K**** und E**** R**** von der wider sie erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Das Gericht gelangte den Gutachten der beiden Sachverständigen folgend zu der Feststellung und Überzeugung, dass (Zitat):
bei den beschlagnahmten Abbildungen von einer Pornografie nicht die Rede sein kann. Es ist richtig, dass einzelne Abbildungen ... als anstößig zu bezeichnen sind. Dem Sachverständigen ... kann bei diesen Abbildungen beigepflichtet werden, dass ihre Thematik gewagt und bis zur Obszönität überlagert ist. Der Begriff Obszönität ist aber mit der Pornografie nicht zu identifizieren und daher auch nicht vom Gesetzgeber dem objektiven Tatbestand nach § 1 des Pornografiegesetzes unterstellt worden. Abgesehen davon hat die Befragung des E**** R**** ergeben, dass er bei der Herstellung dieser Bilder bei weitem nicht an pornografische Darstellungen gedacht hat ..., weil E**** R**** in seiner künstlerisch jugendlichen Mentalität .. wesentlich andere Motive und Gedanken hatte, als sie sonst bei pornografischen Abbildungen Platz greifen. Bei E**** R**** trifft ... nicht allein ... der mangelnde objektive Tatbestand, sondern insbesondere der Mangel des subjektiven Tatbestandes zu. Dies deswegen, weil der subjektiven Tatbestand nach § 1 des Pornografiegesetzes zur Voraussetzung hat, dass sich der Täter zumindest bewusst ist, dass er pornografische Abbildungen herstellt und ... zur Ausstellung bringt.
Gegen dieses freisprechende Urteil hat die Staatsanwaltschaft Linz Nichtigkeitsbeschwerde erhoben.
V Rechtliche Beurteilung des Höchstgerichtes (ON 32):
Der Nichtigkeitsbeschwerde wurde aus formellen Gründen stattgegeben - sie ist Gegenstand des Urteiles vom 26.01.1962 Diese Entscheidung ist nur als Rechtssatz-Dokument RS 0087747 im RIS veröffentlicht. Die Veröffentlichung von Teilen des Volltextes erfolgt wiederum aus den im Archiv der Stadt Wien stammende Akten:
... Zunächst ist der Staatsanwaltschaft zuzustimmen, wenn sie ... dem angefochtenen Urteil eine unrichtige Gesetzesanwendung vorwirft. Dies gilt insbesondere für die Rüge, dass das Erstgericht den Begriff "unzüchtig" unrichtig ausgelegt hat. Diesen Begriff hat der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung dahin festgelegt, dass als unzüchtig jede Handlung gelten muss, durch die die Sittlichkeit in geschlechtlicher Beziehung verletzt wird, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Handlung dem erregten Geschlechtstrieb des Täters entspringt oder zur Erregung des Geschlechtstriebes ... einer anderen Person bestimmt ist. Es genügt vielmehr, dass sie ihrer Art nach zum Geschlechtsleben in Beziehung steht. Nach der dem Pornografiegesetz zugrunde liegenden objektiven Theorie ist eine Schrift, eine Abbildung und dergleichen dann unzüchtig, wenn sie objektiv geeignet ist, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen. Massgeblich für diese objektive Eignung ist nicht die Absicht des Verfassers, Herstellers usw, auch nicht die Anschauung sittlich verdorbener, abgebrühter oder besonders feinfühliger Kreise, sondern die Anschauung des normalen gesunden Durchschnittsmenschen (...).
... Daher gelangte der Oberste Gerichtshof zu dem Begriff der "relativen Unzüchtigkeit" und erklärte hiezu, dass dann, wenn ein erkennbar an einen wissenschaftlich oder künstlerisch interessierten Kreis gerichtetes Werk zum Zweck der allgemeinen Verbreitung hergestellt und in einer solchen Art ausgestellt oder verbreitet wird, dass es nicht nur dem wissenschaftlich oder künstlerisch interessierten Kreise zugänglich macht, sondern auch die Möglickeit eröffnet, dass das Werk auch an Personen gelangt, die ausschließlich an dem erotischen Charakter dieses Werkes interessiert sind, ein solches Werk wegen seiner nunmehrigen Eignung. das geschlechtliche Empfindes eines Durchschnittsmenschen zu verletzen, zu einem unzüchtigen wird.
Das Erstgericht hat nun ausgeführt, dass einzelne Abbildungen, auf denen die weiblichen Geschlechtsteile besonders massiv hervorgehoben worden sind ... als anstössig zu bezeichnen sind. Damit hat das Erstgericht bereits den objektiven Tatbesatnd des Verbrechens nach § 1 Abs 1 lit c des Pornografiegesetzes festgestellt. Dies gilt, wie sich der Oberste Gerichtshof bei Besichtigung der beschlagnahmten Bilder überzeugen konnte, für folgende Bilder:
"Wartende Danae", "Das Dornröschen", "Die Nike vom oberen Stock", "Das Rotkäppchen", "Triptychon der drei modernen Märtyrerinnen", "Die Amputierte", "Die Amazonasschlacht", und "Das Spiel mit der goldenen Kugel".
Die übrigen Bilder "Mondnacht", "Zwei Frauen", "Der gute Unstern" "Verschneite Orangenernte" sind zwar noch nicht als unzüchtig im Sinne des § 1 des Pornografiegesetzes zu bezeichnen, wohl aber geeignet, die sittliche und gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen durch Reizung der Lüsternheit oder Irreleitung des Geschlechtstriebes zu gefährden. ... Da dem angefochtenen Urteile auch die Feststellung zu entnehmen ist, dass die Ausstellung auch jugendlichen Personen zugänglich war, erweist sich die Annahme des Erstgerichtes, dass der Tatbestand nach § 2 des Pornografiegesetzes gegeben sei, zumindest in Ansehung der vier zuletzt genannten Bilder als rechtsrichtig.
... Zum inneren Tatbestand nach dem § 1 des Pornografiegesetzes gehört neben der gewinnsüchtigen Absicht, dass der Täter den Inhalt der Schrift, Abbildung usw. kennt und das Bewusstsein hat, dass dieser geeignet ist, die Sittlichkeit in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen. In subjektiver Hinsicht wird zum Vergehen nach § 2 Abs.1.lit b des PornG nur erfodert, dass der Täter den Inhalt der Schrift, Abbildung und sonstigen Darstellung kennt und weiß. dass diese Schriften, Abbildungen und sonstigen Darstellungen auf eine Art ausgestellt werden, dass dadurch der anstössige Inhalt auch einem grösseren Bereich von Personen unter 16 Jahren zugänglich wird. Dabei bezieht sich das Tatbestandserfordernis der "Wissentlichkeit" nur auf diesen Umstand und nicht auch auf das Bewusstsein der Eignung der Bilder, jugendliche Personen durch Reizung der Lüsternheit oder Irreleitung des Geschlechtstriebes in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden. Dass diese Eignung der Abbildungen vom Täter auch erkannt wurde, ist für den Tatbestand in subjektiver Richtung nicht erfoederlich, zumal dieses Bewusstsein Personen mit unrichtigen Wertbegriffen vielmehr meistens fehlen wird.
Das Erstgericht hat nun das Bewusstsein des Angeklagten, unzüchtige Abbildungen hergestellt und ausgestellt zu haben, verneint. Es mag nun dahingestellt bleiben, ob und inwieweit bei dieser Auffassung eine unrichtige Auslegung des § 1 des PornG mitgespielt hat. Jedenfalls hat das Erstgericht die Verantwortung des Angeklagten im Vorverfahren, ein Ausstellungsbesucher habe auf der Ausstellung das Bild "Dornröschen" aus sittlich abwegigen Erwägung erwerben wollen, sowie er (Angeklagter) habe ursprünglich zwei Bilder und zwar "Dornröschen" und "Rotkäppchen" gar nicht ausstellen wollen, weil er damit Anstoss zu erregen befürchtete, unberücksichtigt gelassen und mit Stillschweigen übergangen. Jedenfalls ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob dass Erstgericht diese Verantwortung in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat. Möglicherweise wäre aber das Jugendschöffengericht, hätte es sich mit diesen Angaben des Angeklagten auseinandergesetzt, zu einer anderen rechtlichen Beurtielung gekommen.
... Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher, soweit sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten E**** R*** zu Punkt I des Urteilsspruches richtet, Folge zu geben, das Urteil in diesem Umfange aufzuheben und die Sache an den Jugendgerichtshof Wien zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.
Dieser wird daher lediglich noch zu prüfen haben, ob und inwieweit auch die subjektive Tatseite bei den diesem Angeklagten zur Last liegenden strafbaren Handlungen gegeben ist. Hiebei wird das Erstgericht auch den Inhalt des Ausstellungskataloges zu berücksichtigen haben, indem es ua heisst, dass die Bilder des Angeklagten auf Fremde schockierend wirken und dass "der Angeklagte zur Loslösung vom niedrig kreatürlichen Sein drängt" sowie "das Erkannte jeweils klar und zwingend formuliert und ohne falsche Rücksichten mitgeteilt werde."
VI Gang des Verfahrens nach der Entscheidung des OGH
Die Schilderungen zum Verfahrensgang erfolgen aus den vor der Vernichtung bewahrten und im Archiv der Stadt Wien öffentlich einsehbaren Akten. Die Ordnungsnummern der Aktenstücke sind jeweils angegeben.
Zufolge Aufhebung des freisprechenden Urteiles fanden am Jugendgerichtshof Wien am 03.05.1962 (ON 37) und am 24.05.1962 (ON 40) weitere Hauptverhandlungen statt, in denen der Angeklagte und ein Käufer des Bildes "Verschneite Orangenernte" einvernommen wurden. Mit Urteil des Jugendgerichtshof Wien vom 24.05.1962, 4a Vr 600/62 (ON nicht ersichtlich) wurde E**** R*** wegen des Verbrechens nach § 1 Abs 1 lit c des BG vom 31.05.1950 und des Vergehens nach § 2 Abs 1 lit b dieses Gesetzes zu einem Monat strengen Arrest verurteilt und der Vollzug der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben (bedingte Strafnachsicht).
Die (11) Bilder "Wartende Danae", "Dornröschen", "Die Nike vom oberen Stock", "Das Rotkäppchen", "Triptychon der drei modernen Märtyrerinnen", "Die Amputierte", "Die Amazonasschlacht", Das Spiel mit der goldenen Kugel", "Mondnacht", "Zwei Frauen" und "Der gute Unstern" wurden für verfallen erklärt.
Hinsichtlich des Bildes "Verschneite Orangenernte" wurde der Antrag, es für verfallen zu erklären, abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat E**** R**** kein Rechtsmittel eingelegt.
VII Das Schicksal der 11 Bilder
Die Schilderungen zum Schicksal der Bilder erfolgen aus den vor der Vernichtung bewahrten und im Archiv der Stadt Wien öffentlich einsehbaren Akten. Die Ordnungsnummern der Aktenstücke sind jeweils angegeben.
Mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 13.06.1962 (ON 44) wurde eine Spedition angewiesen, die für verfallen erklärten Bilder dem BM für Inneres, Generaldirektion für öffentliche Sicherheit auszufolgen. Aus dem Strafakt ging nicht hervor, ob die Bilder nun vernichtet wurden oder was sonst mit ihnen geschehen ist.
Laut Pressebericht der OÖN vom 20.12.1995 wurden die Bilder nicht vernichtet, sondern kamen - wie vom Kulturamt der Stadt Linz aufgespürt - in ein 10 m2 großes Depot des Innenministeriums, das im Pressebericht als Pornokammerl bezeichnet wurde. In weiterer Folge versuchte das Kulturamt der Stadt Linz zwar, dass die Bilder dem Stadtmuseum Nordico zur Verfügung gestellt werden können, doch das war - so das Zitat aus dem Pressebericht - nicht so leicht zu bewerkstelligen.
Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 12.01.1996 (ON 76) ausgesprochen wurde, dass die für verfallen erklärten 11 Bilder gemäß § 408 StPO dem Kulturamt des Magistrates der Landeshauptstadt Linz für die Sammlung des städtischen Museums Nordico zur Verfügung gestellt werden.Die Ausfolgung erfolgte im Februar 1996.
Aus Seite 275 der Dokumentation Der Fall "Ruprecht" ergibt sich schließlich, dass (Zitat): der Stadtsenat Linz am 09.11.2000 beschioss, dass die 11 Bilder an den Künstler als ursprünglichen Eigentümer zurückerstattet werden.
VIII Favorartis Kommentar
Die Rechstlage im Jahre 1962 ist (zumindest) aus drei Gründen gegenüber jener von 60 Jahren später unterschiedlich:
I Judikaturänderung zur Auslegung des Begriffes "unzüchtig" ab 1975
Nach § 1 Abs 1 lit a des PornG 1950 (Bundesgesetz vom 31. März 1950 über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung) macht sich eines Verbrechens (ab 1974: eines Vergehens) schuldig, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen, Laufbilder oder andere unzüchtige Gegenstände herstellt, verlegt oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig hält.
In der Entscheidung Stille Tage in Clichy wurde der Unterschied zwischen älterer (bis 1975) und jüngerer Rechtsprechung wie folgt beschrieben:
Während die ältere Rechtsprechung bei Auslegung des Begriffs 'unzüchtig' im Sinn des § 1 Pornographiegesetz auf das Kriterium der Unerträglichkeit für normalempfindende Durchschnittsmenschen mit zeitverbindenden, soziologisch aufgeschlossenen Ansichten und auf das berechtigte Schutzanliegen dieser Personen abstellte, nicht mit Vorgängen konfrontiert zu werden, die das Zusammenleben grob beeinträchtigen (vgl. ÖJZ-LSK 1975/158 = RZ 1975/73 = EvBl. 1976/60) und als unzüchtig das wertete, was von jedermann, der sozial integriert ist, als unerträglich empfunden werde, wie etwa die exzessiv aufdringliche Wiedergabe realer Sexualakte (ÖJZ-LSK 1975/159 = RZ 1975/73 = EvBl. 1976/60), nimmt die jüngere Rechtsprechung des OGH eine geänderte Anschauung vor. Das Strafrecht solle erst einschreiten, wenn ein Verhalten vorliegt, dass das Zusammenleben grob stört. Aus der Gesamtschau des Rechts ergibt sich ein absoluter Unzüchtigkeitsbegriff für pornographische Darstellung, sexuelle Gewalttätigkeiten und von Unzuchtsakten mit Unmündigen, mit Personen gleichen Geschlechts oder mit Tieren (sogenannte harte Pornographie). Sonstige pornographische Darstellungen, die nicht zur harten Pornographie gehören und die bei Konfrontation mit der Allgemeinheit als unzüchtig zu qualifizieren sind, sind dennoch nicht tatbildlich, wenn sie nur einem bestimmt angesprochenen Interessentenkreis Erwachsener vorbehalten sind und durch die Art ihrer Präsentation auch die abstrakte Möglichkeit der Erregung öffentlichen Ärgernisses oder die Gefährdung Jugendlicher ausgeschlossen ist (ÖJZ-LSK 1977/254,255 verstärkter Senat).
Danach wäre wohl 13 Jahre später eine Verurteilung dann unterblieben, wenn die Ausstellung der 12 streitgegenständlichen Bilder nur einem bestimmt angesprochenen Interessentenkreis Erwachsener vorbehalten und durch die Art ihrer Präsentation auch die abstrakte Möglichkeit der Erregung öffentlichen Ärgernisses oder die Gefährdung Jugendlicher ausgeschlossen gewesen wäre.
II Kunstfreiheit
Zum Zeitpunkt des Urteiles am 26.01.1962 war Art 17 a StGG (Kunstfreiheit: Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei) noch nicht in Kraft. Diese Bestimmung ist erst am 16.06.1982 in Kraft getreten. Da nach der älteren Judikatur bis 1975
bei Beurteilung der Frage, ob ein Werk unzüchtig sei, nicht entscheidend war, welchen Zweck der Verfasser verfolgte, mag dies auch ein wissenschaftlicher, künstlerischer oder belehrender, also ein erlaubter Zweck sein; entscheidend vielmehr 1) der objektive Inhalt des Werkes, 2) die Aufmachung (Ausstattung) des Werkes, 3) die näheren Umstände seiner Verbreitung und 4) der daraus, also aus dem Werk selbst und seiner Verbreitungsart, erkennbare Zweck waren
ist es 1962 auf einen Grundrechtskonflikt zwischen Kunstfreiheit (gewährleistet über Art 13 StGG) und Pornografie nicht angekommen. Ab 1975 hätte sich die Rechtslage (zur Auslegung des Begriffes "unzüchtig") ohnedies (schon vor 1982) zu Gunsten des Künstlers geändert.
III EMRK
Die EMRK (und mit ihr deren Artikel 10) ist von Österreich 1958 ratifiziert worden und durch das BGBl Nr 59/1964 vom 06.04.1964 in Verfassungsrang getreten: Sie war daher zum Zeitpunkt des Urteiles am 26.01.1962 zwar in Kraft, doch war eine Individualbeschwerde an den EGMR erst.ab dem 01.11.1998 (ohne Zustimmung des Mitgliedstaates) möglich. Ob eine solche (nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges, also nach einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien) erfolgreich gewesen wäre, mag angesichts der Ausführungen des EGMR in Fri Art 81 dahingestellt bleiben, wenn laut dem folgenden Zitat
Dank ihres direkten und ständigen Kontakts zu den in ihren Ländern wirkenden Kräften sind die staatlichen Behörden grundsätzlich besser in der Lage als der internationale Richter, sich zum genauen Inhalt dieser Anforderungen zu äußern sowie zur „Notwendigkeit“ einer „Einschränkung“ oder „Strafdrohung“, die dazu bestimmt ist, jenen Anforderungen zu entsprechen.
die nationalen Gerichte die Angemessenheit einer Äußerung in punkto Zustimmung und Wirkung in der Gesellschaft ohnedies besser bewerten und beurteilen können.
Allerdings könnte sich aus den Ausführungen des EGMR zur Beschlagnahme ergeben, dass die Verfallserklärung bzw die Art und Weise der (nicht archivierten und in Vergessenheit geratenen) Verwahrung im "Pornokammerl" konventionswidrig war und nur durch das Bemühen engagierter Personen aus Linz (etwa dem Kulturdirektor, einem Richter und einem Staatsanwalt) letzlich dazu führte, dass dem Künstler die 11 Bilder wieder zurückerstattet werden konnten.
IX Hinweise zu dieser Webseite
- Die Entscheidung 10 Os 28/62 ist im Volltext nicht im RIS enthalten, jedoch aufgrund ihres Inhaltes für den Themenbereich Recht der Kunst von Bedeutung.
- Die Schilderungen zum Verfahrensgang, zur rechtlichen Beurteilung des Höchstgerichtes, zum Verfahrensgang danach und zum Schicksal der Bilder erfolgen aus den vor der Vernichtung bewahrten und im Archiv der Stadt Wien öffentlich einsehbaren Akten. Die Ordnungsnummern der Aktenstücke sind jeweils angegeben. Scans dieser mit Einverständnis des Künstlers auf dieser Webseite bearbeiteten Aktenstücke liegen dem Websitebetreiber vor.
- Weitaus umfangreichere Angaben (auch) zum Inhalt des Strafaktes erfolgen in der Publikation Der Fall Ruprecht: Dokumentation. Hrsg. Alfred Weidinger, OÖ. Landeskultur GmbH, 2021, ISBN 978-3-85474365-1, deren Lektüre bei weitergehendem Interesse empfohlen wird. Das angegebene Zitat betreffend die Rückerstattung der Bilder an den Künstler am 09.11.2000 erfolgt (dank der Zustimmung des Herausgebers) aus dieser Publikation und ist für das Gesamtverständnis notwendig.
- Personenbezogene Daten, die über die Veröffentlichung der Entscheidung hinausgehen (etwa zum Schicksal der Bilder) ergeben sich aus dem Strafakt und dem Zitat..
- Das (weitere) Zitat aus Wikipedia (zum Künstler) und die drei von der Galerie Hofkabinett genehmigten Bildzitate (mit Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.