Der Vorleser

Roman von Bernhard Schlink, 1995

I Autor und Werk

Der Vorleser  ist ein Roman des deutschen Schriftstellers Bernhard Schlink aus dem Jahr 1995. Im Vordergrund des dreiteiligen Romans steht anfangs die ungleiche erotische Beziehung des Ich-Erzählers Michael Berg zu der 21 Jahre älteren Hanna Schmitz. Im weiteren Verlauf konzentriert sich die Darstellung des Erzählers, der offensichtlich in seinem Rückblick die Sichtweise des Juristen und Autors Schlink teilt, zunehmend auf ethische Fragen und den Umgang mit den Tätern des Holocaust in der Bundesrepublik der 1960er Jahre.

Das Buch wurde in über 50 Sprachen (Stand 2020) übersetzt. In den USA erschien es 1997 unter dem Titel The Reader und wurde zu einem Bestseller.

Bernhard Schlink (* 6. Juli 1944 in Großdornberg, heute Bielefeld) ist ein deutscher Jurist, ehemaliger Hochschullehrer und Schriftsteller. Von 1982 bis 1991 war Schlink Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn und von 1991 bis 1992 Professor für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Frankfurt am Main. Von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2009 hatte er an der Humboldt-Universität Berlin einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie inne.

Zur Biografie siehe  Wikipedia und  Diogenes-Verlag.

II Handlung

übernommen aus  Wikipedia

Die Handlung des Romans Der Vorleser ist in drei Teile gegliedert und schildert in überwiegend chronologischen Rückblenden aus der Erzählgegenwart der 1990er Jahre die Erlebnisse des Ich-Erzählers (Michael Berg).

Erster Teil

Der erste Teil beginnt mit der Erkrankung des fünfzehnjährigen Schülers Michael Berg an Gelbsucht. Als er sich in einem Hauseingang übergeben muss, kommt ihm eine Frau zu Hilfe, die später als die 36 Jahre alte Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz vorgestellt wird.

Nach seiner Genesung sucht Michael Hanna zu Hause auf, um sich bei ihr zu bedanken. Als sie sich vor ihm umzieht und seine sexuelle Erregung bemerkt, läuft er davon. Bei einem weiteren Besuch kommt es zum Liebesakt und damit zum Beginn der ungleichen Beziehung, mit der sich der erste Teil des Romans befasst.

Michael beschließt, wieder zur Schule zu gehen. Um Zeit mit Hanna zu verbringen, schwänzt er einzelne Stunden. Als sie davon erfährt, stellt sie als Bedingung für weitere Treffen, dass er sich für die Schule engagiert. Das Baden und der anschließende Liebesakt werden ebenso zum Ritual wie Michaels Vorlesen, zunächst aus den im Unterricht behandelten und später auch aus eigens dafür ausgesuchten Büchern. Es kommt zu Konflikten zwischen den beiden, die für Michael oft unerklärlich sind, für die er aber die Schuld auf sich nimmt, um der strafenden Zurückweisung Hannas zu entgehen.

Mit dem Beginn des neuen Schuljahrs lernt Michael die gleichaltrige Sophie kennen, die er mit Hanna vergleicht. Er verbringt mehr Zeit mit seinen Mitschülern, so dass sein Leben nicht mehr ausschließlich um Hanna kreist. Je intensiver die Beziehung zu Sophie und seinen Klassenkameraden wird, desto mehr hat Michael das Gefühl, Hanna zu verraten. Als diese überraschend im Schwimmbad erscheint und ihn mit einer Gruppe Gleichaltriger beobachtet, reagiert Michael zu spät, und Hanna verschwindet. Als er sie am nächsten Tag in ihrer Wohnung und auf ihrer Arbeitsstelle sucht, erfährt er, dass Hanna nach Hamburg gegangen ist, kurz nachdem sie ein Angebot zur Beförderung erhalten hat.

Aus dem im zweiten Teil genannten Geburtsdatum von Hanna Schmitz (21. Oktober 1922) lässt sich schließen, dass der erste Teil in den Jahren 1958/59 spielt und dass Michael Berg im Juli 1943 geboren wurde.

Zweiter Teil

Sieben Jahre später. Michael studiert Jura an der Universität und besucht mit Kommilitonen einen Kriegsverbrecherprozess gegen Wärterinnen eines Außenlagers in Auschwitz. Ihnen wird vorgeworfen, bei einem Todesmarsch gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Gefangene in eine Kirche gesperrt und sie nach einem Bombenangriff dort verbrennen lassen zu haben. Zu Michaels Überraschung ist unter den Angeklagten auch Hanna Schmitz. Er verfolgt den Prozess nun mit wachsender Anteilnahme und versäumt keinen Verhandlungstag. Hanna wird neben dem Flammentod der Frauen in der Kirche auch angelastet, an Selektionen von Zwangsarbeiterinnen des Außenlagers beteiligt gewesen zu sein; jeweils die Schwächsten seien in die Gaskammern von Auschwitz und damit in den sicheren Tod geschickt worden.

Im Prozess sagt auch eine Jüdin aus, die zusammen mit ihrer Mutter als einzige den Kirchenbrand überlebt hat. Sie erinnert sich, dass Hanna KZ-Häftlinge begünstigt habe, die ihr vorgelesen hätten. Mit Sorge beobachtet Michael, wie sowohl Hanna selbst als auch ihr Verteidiger sie zunehmend als Hauptschuldige erscheinen lassen. Sie ist auch die einzige, die die Taten nicht abstreitet. Die Mitangeklagten hingegen beschuldigen Hanna als Rädelsführerin, die einen gefälschten Bericht über den Kirchenbrand verfasst habe, der andere belaste. Als der Richter einen Schriftvergleich anordnen will, gibt Hanna vor, den Bericht geschrieben zu haben. Erst jetzt kommt Michael, angesichts seiner früheren Erlebnisse mit Hanna, zu dem Schluss, dass sie weder lesen noch schreiben kann. Dies bringt ihn in einen inneren Konflikt: Er weiß, dass Hanna das Gestandene nicht getan haben kann, ist sich aber nicht sicher, ob und wie er in den Prozess eingreifen soll. Schließlich fragt er seinen Vater, einen Philosophieprofessor, um Rat. Dieser warnt Michael davor, die Würde der Angeklagten zu verletzen, sollte er hinter ihrem Rücken den Richter über ihren Analphabetismus informieren, und rät ihm, lieber mit ihr selbst zu sprechen. Michael scheut sich aber vor einer Begegnung mit Hanna. Stattdessen besichtigt er das KZ Natzweiler-Struthof. Beim Trampen wird er von einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier mitgenommen, der meint, die Täter des Holocaust hätten nur ihre Arbeit getan und seien ohne böse Absicht schlicht gleichgültig gegenüber dem Schicksal ihrer Opfer gewesen. Als Michael ihn fragt, ob er selbst an solchen Morden beteiligt gewesen sei, verweist er ihn des Wagens.

Schließlich entscheidet sich Michael gegen ein Eingreifen, und am Ende des Prozesses wird Hanna als Hauptschuldige zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, ihre Mitangeklagten dagegen erhalten kürzere Haftstrafen. Trotz der Distanz zwischen Michael und Hanna ist offenbar geworden, dass seine Jugenderlebnisse mit ihr noch stark nachwirken. Als besonders belastend empfindet er erotische Fantasien, in denen an die Stelle der Geliebten aus seiner Erinnerung die KZ-Wärterin tritt.

Dritter Teil

Nach dem Studium beginnt Michael Berg sein Referendariat und heiratet seine Kommilitonin Gertrud, mit der er eine Tochter hat. Später wird er Rechtshistoriker, da er sich mit Blick auf den KZ-Prozess weder vorstellen kann, die Rolle eines Verteidigers noch die eines Staatsanwalts oder Richters einzunehmen. Seine Ehe scheitert und auch weitere Beziehungen zu Frauen erweisen sich als unerfüllt, da Michael sie mit Hanna vergleicht. Nachdem diese sieben Jahre in Haft verbracht hat, sucht er den Kontakt zu ihr. Er nimmt das Ritual des Vorlesens wieder auf und schickt ihr von ihm selbst besprochene Kassetten ins Gefängnis. Mit deren Hilfe bringt sich Hanna im Gefängnis Lesen und Schreiben bei. Sie schickt ihm Briefe, die er jedoch unbeantwortet lässt.

Als Hannas Entlassung nach 18 Jahren näher rückt, schreibt die Gefängnisleiterin Michael einen Brief, in dem sie ihn bittet, bei Hannas gesellschaftlicher Eingliederung zu helfen. Trotz seiner Skrupel trifft er die nötigen Vorbereitungen und besucht sie eine Woche vor dem Entlassungstermin im Gefängnis. Dort hat er das Gefühl, einer „alten Frau“ zu begegnen. Hanna spürt seine Distanz, aber beide erzählen einander von ihren so unterschiedlichen Leben. Am Vorabend der Entlassung telefonieren sie ein letztes Mal, und Michael ist überrascht, wie jung sich Hanna anhört, als sie sich wegen seiner Planerei über ihn lustig macht. Als er sie im Gefängnis abholen will, ist Hanna tot; sie hat sich in ihrer Zelle erhängt. Die Gefängnisleiterin führt Michael in ihre Zelle, wo er von Holocaustüberlebenden geschriebene Bücher und ein Zeitungsfoto von sich als Abiturient sieht. Michael erfährt, dass Hanna lange Zeit auf ihre Erscheinung geachtet habe und unter Mitgefangenen eine Autoritätsperson gewesen sei. In den letzten Jahren habe sie sich jedoch zunehmend zurückgezogen und vernachlässigt. Die Leiterin erzählt Michael, wie wichtig seine Kassetten für sie gewesen seien, fragt aber, warum er ihr denn nie geschrieben habe. Sie übergibt ihm schließlich Hannas Erspartes und liest ihm ihr Testament vor.

Hannas letztem Willen folgend, will Michael der Zeugin aus dem Prozess das Geld übergeben. Diese weigert sich jedoch, es selbst anzunehmen, einigt sich aber mit Michael darauf, es in Hannas Namen zur Bekämpfung des Analphabetismus einer jüdischen Organisation zu stiften.

III Printausgaben

Bernhard Schlink: Der Vorleser. Diogenes, Zürich 1995 (Erstausgabe), ISBN 3-257-06065-3 und als Diogenes Taschenbuch: Diogenes, Zürich 1997: ISBN 978-3-257-22953-0 (= detebe 22953)

IV Adaptionen

Hörbuchadaptionen

Im Wikipedia-Eintrag sind zwei Hörbüchadaptionen angeführt:

  • Hörbuch 1996 im Litraton-Hörbuchverlag Hamburg, ungekürzte Lesung von Gert Westphal, 5 CDs, 303 Minuten, ISBN 3-89469-922-1 und
  • Diogenes Hörbuch: Ungekürzte Lesung, gelesen von Hans Korte, 4 CDs, 297 Minuten, Diogenes, Zürich 2005, ISBN 978-3-257-80004-3..

Verfilmung

Der Vorleser  ist ein deutsch-US-amerikanischer Kinofilm aus dem Jahr2008. Er basiert auf dem 1995 erschienenen gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink und handelt von dem 15-jährigen Schüler Michael Berg (David Kross, älter Ralph Fiennes), der 1958 eine Liebesbeziehung mit der zwanzig Jahre älteren Hanna Schmitz (Kate Winslet) eingeht. 1966 stellt sich heraus, dass sie KZ-Aufseherin war.

Das Drehbuch schrieb der Dramatiker David Hare unter Mitwirkung des Buchautors. Der Film wurde unter der Regie von Stephen Daldry  fast ausschließlich in Deutschland gedreht. Er lief in den US-amerikanischen Kinos am 10. Dezember 2008 und in Deutschland am 26. Februar 2009 an.

Siehe zum Film  Wikipedia und  Filmportal.de.

V Preise und Kritik

Roman

Im Wikipedia Eintrag (zum Roman) sind 6 Literaturpreise von 1997 bis 2001 angeführt. Schlinks  Der Vorleser ist einer der wenigen Bestseller deutscher Autoren auf dem amerikanischen Buchmarkt. Der Vorleser wurde in über 50 Sprachen übersetzt und war das erste deutsche Buch, das es auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times schaffte.

Ein Großteil der literarischen Kritik äußerte sich lobend zum Vorleser. Hervorgehoben wurden vor allem Schlinks präziser Stil, direkte Erzählweise und die außergewöhnliche Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung.

Von anderer Seite wurde Schlink für seine Methode der Beschreibung der NS-Verbrechen stark kritisiert und in Zusammenhang mit Geschichtsrevisionismus und Geschichtsfälschung gestellt. Jeremy Adler hob in der Süddeutschen Zeitung hervor, Schlink betreibe „Kulturpornographie“, indem in seinem Buch die „entscheidenden Motive von Schuld und Verantwortung sowie die Frage nach dem Verhältnis von persönlicher und staatlicher Macht“ an Bedeutung verlören. Schlink „vereinfache“ die Geschichte und zwinge zu einer Identifikation mit eigentlich schuldigen Tätern der NS-Zeit.

Film

Trotz zahlreicher kritischer Stimmen zu der angeblich verharmlosenden Darstellung von Hanna Schmitz durch Kate Winslet  lebt der Film doch durch die Leistungen der britischen Schauspielerin. So wurde Winslet  im Jahr 2009 für Der Vorleser mit zahlreichen Filmpreisen geehrt, im Wikipedia Eintrag (zum Film)  sind 6 Filmpreise im Jahr 2009 angeführt, darunter die Oscarverleihung für die beste Hauptdarstellerin..

Im Kritikenspiegel des Wikipedia Eintrages sind 10 Kritiken von positiv über gemischt, eher negativ und negativ angeführt.

Eine positive Kritk (von Hanns-Georg Rodek vom 06.02.2009 inder Welt)  betont, es dränge sich „so lange nach Kriegsende“ der Wechsel in die Perspektive derTäter auf, das Thema sei das Leiden der Nachgeborenen, was nicht zu verwechseln sei mit einer Haltung, die betont, auch die Deutschen hätten im Krieg gelitten. Das universelle Thema betreffe alle Länder, in denen Menschen mit Verbrechen früherer Generationen umgehen müssen. Der Film behandle es entgegen Hollywood’schen Gut/Böse-Schemata mit europäischer Sensibilität.

Eine weitere positive Kritik (von Jan Schulz-Ojala vom 26.02.2009 im Tagesspiegel)  bemerkt, an Michael manifestiere sich das moralische Dilemma der ersten deutschen Nachkriegsgeneration im Verhältnis zu ihren Eltern: „Man kann nicht verurteilen und verstehen zugleich, es sei denn man richtet sich selbst.“ Das Mitleid gelte Michael, nicht der Täterin.

Negative Kritik formuliert Martin Wolf im Spiegel vom 21.02.2009, denn wie andere Literaturverfilmungen lege auch diese Schwächen der Vorlage schonungslos offen. Das sei kein Film über den Holocaust, sondern eher eine peinliche Studie über das Selbstmitleid eines irregeleiteten Liebhabers. Viel zu spät zeige der Film, dass es Menschen gegeben haben soll, die schlimmere Erfahrungen mit SS-Leuten machen mussten, als mit ihnen ins Bett zu gehen. Für das große Schuldthema hätte Daldry Bilder finden müssen, doch zeige er nur wiederholt Michaels Leidensmiene und eine geschmackvoll ausgeleuchtete KZ-Gedenkstätte.

Im Vorfeld der Oscarverleihung meldete sich in den USA der jüdische Journalist Ron Rosenbaum mit einer negativen Kritik zu Wort. Dieser bezeichnete den Vorleser als den schlechtesten Film über den Holocaust, der je produziert worden sei. Des Weiteren meint er ua, der Film würde zu sehr mit Winslets Rolle sympathisieren und dem Publikum einreden, Analphabetismus sei beschämender, als an Massenmord beteiligt zu sein.

VI Kommentar

Peter Mohr  nimmt den 75. Geburtstag von Bernhard Schlink im Rezensionsforum Literaturkritk.de am 07.07.2019 unter dem Titel: Schuld als Lebensthema zum Anlass, um ua zu fragen, was den großen Erfolg des Romans ausmachte:

War es die Tatsache, dass er einer NS-Täterin ein Gesicht und menschliche Züge verlieh, ohne für sie beim Leser um Mitleid zu buhlen? Oder hatte der Autor mit seiner männlichen Hauptfigur Michael Berg und dessen fast flehender Frage den Nerv der Generation der Nachgeborenen getroffen: „Was sollte und soll meine Generation der Nachlebenden eigentlich mit den Informationen über die Furchtbarkeit der Vernichtung der Juden anfangen?“

VII Hinweise zu dieser Webseite

  1. Die Zitate aus der freien Enzyklopädie Wikipedia (zum Roman und zum Film) und aus dem Rezensionsforum Literaturkritk.de (mit den jeweils aus der Verlinkung ersichtlichen Quellenangaben) erfolgen im angeführten Umfang zur Erläuterung des Inhaltes der Webseite.
  2. Personenbezogene Daten ergeben sich aus der Literaturbeschreibung sowie aus dem Bekanntheitsgrad des Autors und seines Werks.

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